Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3 | |
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nachgewiesen, aber er habe nicht hinreichendes Material, um die Anklage wegen Mordes gegen den Angeklagten zu erheben. Es ist das eine ungewollte Stimmungsmacherei. Sie hat aber dieselbe Wirkung wie eine gewollte und erinnert an den Standpunkt des Staatsanwalts, der sagte: „Solange mir der Angeklagte nicht den Beweis liefert, daß er ein anständiger Mensch ist, halte ich ihn für einen Spitzbuben.“ Der Nachweis, daß der Verdacht des Mordes gegen die Familie Lewy vorliegt, ist doch nicht geführt. Deshalb hätte der Erste Staatsanwalt so etwas nicht sagen dürfen. – Der Verteidiger ging hierauf nochmals auf die Beweisaufnahme ein und schloß: Meine Herren Geschworenen! Ich habe die Überzeugung, daß Sie sich durch keine Bemerkung in Ihrem Urteile beeinflussen lassen und die Schuldfragen verneinen werden. – Vors.: Angeklagter, haben Sie noch etwas anzuführen? – Angeklagter: Ich ersuche die Herren Geschworenen, die Schuldfragen zu verneinen. Ich habe die Wahrheit beschworen, so wahr mir Gott helfe. (Gelächter im Publikum.) Der Vorsitzende erteilte alsdann den Geschworenen die vorgeschriebene Rechtsbelehrung und schloß: Mögen Sie nun mit Gottes Hilfe den richtigen Spruch finden. Es ist Ihnen bekannt, daß es die Pflicht des Richters ist, und, meine Herren, Sie sind auch Richter, Sie haben den Richtereid geleistet, ohne Ansehen der Person, der sozialen, politischen oder Glaubensangehörigkeit des Angeklagten zu urteilen. Seien Sie auch eingedenk, daß Sie über Ihre Handlungen dem ewigen Richter Rechenschaft schulden. – Nach halbstündiger Beratung traten die Geschworenen wieder ein. Unter gespannter Aufmerksamkeit des Publikums verkündete der Obmann Kaufmann Paul Werner, Konitz: Die Geschworenen haben die drei Schuldfragen wegen wissentlichen Meineids und die Unterfrage: ob der Angeklagte durch Bekundung der Wahrheit strafrechtliche Verfolgung befürchten konnte, bejaht. Der Erste Staatsanwalt beantragte hierauf fünf Jahre Zuchthaus, fünf Jahre Ehrverlust und dauernde Eidesunfähigkeit.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/143&oldid=- (Version vom 21.2.2023)