im Zuhörerraum.) – Darauf erstattete Dr. med. Magnus Hirschfeld, Spezialnervenarzt in Berlin, folgendes Gutachten: „Ich habe aus der Beweisaufnahme die wissenschaftliche Überzeugung gewonnen, daß bei dem Kläger, Herrn Grafen Kuno von Moltke, objektiv ein von der Norm, d. h. von den Gefühlen der Mehrheit abweichender Zustand vorliegt, und zwar eine unverschuldete, angeborene und m. E. in diesem Fall ihm selbst nicht bewußte Veranlagung, die man als homosexuell zu bezeichnen pflegt. Wir verstehen unter homosexuell[WS 1] jemanden, der homosexuell empfindet, der sich zu Personen des gleichen Geschlechts in wirklicher Liebe hingezogen fühlt. Ob er sich dabei homosexuell betätigt, ist vom naturwissenschaftlichen Standpunkt nebensächlich. Wie es Normale gibt, die keusch leben, so gibt es Homosexuelle, deren Liebe einen ausgesprochen seelischen, ideellen, „platonischen“ Charakter trägt. Die objektive Diagnose der Homosexualität ist im Einzelfalle nicht leicht, sie stützt sich im wesentlichen auf drei Punkte: einmal auf das Verhalten gegenüber Personen des andern Geschlechtes, dann auf das gegenüber Personen des gleichen Geschlechtes und drittens auf die geistige und körperliche Gesamtpersönlichkeit, welche bei einem homosexuellen Mann durch einen Einschlag femininer Eigenschaften, bei der homosexuellen Frau durch
männliche Züge charakterisiert ist. Für diese Symptomendreiheit finden sich hier deutliche Anzeichen: In bezug auf das Empfinden für das weibliche Geschlecht lege ich den Hauptwert auf die Worte des Klägers wie: „Du bist mir nicht als Mensch, sondern als Weib zuwider,“ ferner „die Gattin solle als schönes Märchen wunschlos neben ihm leben.“ – Könnte Herr Graf von Moltke, wie seine Gattin von sich sagt, daß sie vor und nach ihrer Ehe mit Graf Moltke in glücklicher Ehe gelebt habe, auch seinerseits nachweisen, daß er vorher und nachher in normalsexuellen Beziehungen gestanden habe, so wäre dies von wesentlicher Bedeutung, denn der hier erwähnte geistige, ritterliche Verkehr mit edlen
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: homoseexuell
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/212&oldid=- (Version vom 24.12.2023)