Ich würde mich selbst verachten, wenn ich glaubte, daß Herr Harden diesen Brief veranlaßt hätte; aber ich habe in meinem Leben wissentlich nie jemandem unrecht getan. Ich sage mit Herrn Hardens großem Freund, dem verstorbenen Fürsten Bismarck, der bekanntlich, wenn er gut gelaunt war, plattdeutsch sprach: „Da lach ich ewer.“ – Als Vertreter des Nebenklägers nahm hierauf Justizrat Dr. Sello das Wort: Ich habe in meiner Verteidigertätigkeit immer der Ansicht gehuldigt auf das bißchen Plädieren ist gar kein so großer Wert zu legen. Was hätte ich denn hier noch aufzuklären und zu erläutern. Die Tatsachen stehen doch jetzt felsenfest. Frau v. Elbe hat vielen Leuten unrecht getan, auch mir, indem sie die falsche Ansicht ausgesprochen hat, daß ich ein fanatischer Verfolger ihrer Person sei. Das bin ich ganz gewiß nicht, viel eher bin ich jemand, der wirkliches Mitleid mit ihr hat. Ich werde mich darauf beschränken, den Nebenkläger zu rechtfertigen gegen den Vorwurf, daß er an einer krankhaften Gestaltung seiner Sinnesrichtung leide. Dieser Vorwurf ist beleidigend. Trotz der übertriebenen Tätigkeit des wissenschaftlich-humanitären Komitees ist dieser Vorwurf ein Schimpf, nicht bloß in unserem Vaterlande, sondern, wie ich kürzlich aus einem Buche über Sibirien ersehen habe, selbst dort. Der Angeklagte kann nicht davon freigesprochen werden, daß er der eigentliche Urheber der unendlichen Flut von Schmutzliteratur gewesen ist, die sich dieser Affäre bemächtigt hat und einen Schandfleck in unserem Volksleben bildet. Er ist der Urheber dieser Flut, die er vorausahnen mußte, einer Flut von Schmutz, Ekel und Entwürdigung. Das wird er von seinen Rockschößen nicht mehr los, wie der Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nicht wieder los wurde. Die Beleidigungen in den Artikeln des Angeklagten waren von tödlicher Tragweite und mußten den Erfolg haben, daß der Angegriffene in den Abgrund der Lächerlichkeit versank. In einer längeren dialektisch meisterhaften Ausführung suchte Justizrat Dr. Sello darzulegen, daß alle Interpretationskünste
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/315&oldid=- (Version vom 22.3.2024)