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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

erschien auch der Vater des ermordeten Gymnasiasten Winter als Zeuge. – Erster Staatsanwalt: Es ist Ihnen ein anonymer Brief zugegangen, in dem Ihnen 50 000 Mark geboten wurden? Wie verhält es sich damit? – Zeuge: Das ist richtig, der Brief war in Hammerstein aufgegeben worden und es hieß darin im Anschluß an die Meldung, daß das Verfahren gegen den Schlächtermeister Hoffmann eingestellt sei: „Wir haben nun schon 200 000 Mark weggeworfen und bieten Ihnen jetzt 50 000 Mark, wenn Sie in den „Geselligen“ (Graudenz) ein Inserat folgenden Inhalts einrücken: „Winter schweigt!“ Wir Juden haben es getan, wir haben nicht anders gekonnt, das ist unser Trost.“ – Verteidiger Justizrat Dr. v. Gordon: Wo ist der Brief hingekommen? – Zeuge: Ich habe ihn dem Herrn Schrader gegeben, der ihn dem Abgeordneten Liebermann von Sonnenberg übermitteln wollte. Ich sollte den Brief heute zurückbekommen, um ihn hier vorlegen zu können. Leider ist er mir bisher nicht zurückgegeben worden. – Sanitätsrat Dr. Müller bekundete als Sachverständiger: Der Kopf und die einzelnen Körperteile des Ermordeten waren vollständig blutleer. Der Tod müsse infolge Verblutung erfolgt sein, die durch einen Querschnitt durch den Hals herbeigeführt wurde. Der Kopf sah bei der Auffindung vollständig frisch aus und war auch völlig geruchlos. Die Sektion ergab, daß die Speiseröhre und auch die Rachenhöhle mit Mageninhalt vollgestopft war. Demnach muß dem tödlichen Schnitte ein Würgungsakt voraufgegangen sein. Auf Befragen des Justizrats Dr. v. Gordon erklärte der Sachverständige, die Verblutung müsse bei Lebzeiten, nicht bei der Zerstückelung der Leiche eingetreten sein. Auch die übrigen Leichenteile seien frisch und geruchlos gewesen, etwa als wenn sie im Keller aufbewahrt worden seien. Auf Befragen des Ersten Staatsanwalts erklärte der Sachverständige, zwei andere Sachverständige haben erklärt, daß die Zerstückelung von sachkundiger Hand vorgenommen worden sei. Dafür

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/90&oldid=- (Version vom 29.1.2023)