Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4 | |
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geschlagen, wenn er Grund dazu zu haben glaubte. Er schlug, um zu züchtigen, nicht wie ein Peiniger, der quälen will. Auch sonst hat er Liebe zu seinen Zöglingen gezeigt, das haben selbst die Gezüchtigten empfunden. Breithaupt ist herzkrank, darum eignete er sich nicht zum Erzieher, mindestens nicht für Fürsorgezöglinge. Er war in unfertige Verhältnisse hineingekommen, denen er nicht gewachsen war. Er allein sollte und wollte alles leiten, ohne erfahrene Ratgeber, wie Buth oder Hentschel. Im Fürsorgeerziehungswesen hatte er selber nicht die geringste Vorbildung, weder theoretische noch praktische. Gerade im Fürsorgeerziehungswesen ist nicht in erster Linie der Geistliche, sondern der Pädagoge als geeignet anzusehen, er aber hatte von Pädagogik nicht die geringste Ahnung. Als mildernd ist für ihn auch zu berücksichtigen, daß ihm aus Lichtenberg, wenn auch nicht absichtlich, so doch tatsächlich viele recht schwer zu behandelnde Jungen überwiesen wurden, die teils zu Fluchtversuchen neigten, teils unverschämte Burschen waren. – Andererseits fällt gegen ihn erschwerend ins Gewicht sein Eigensinn und sein maßloses Selbstbewußtsein, die ihn verleiteten, trotz der von ihm erkannten Schwierigkeiten alles selber machen zu wollen, statt den Rat erfahrener Leute einzuholen. Schlimmer noch ist zu bewerten, daß seine Straftaten einen gewissen Zug von Roheit in seinem Charakter erkennen lassen, besonders in den Fällen Mauthe, die man nicht als Ergebnis einer momentanen Aufwallung, sondern nur als Ausfluß einer rohen Gesinnung ansehen kann. Ein erschwerender Umstand ist ferner, daß Breithaupt es stets vermied, den Beschuldigten regelrecht zu verhören. Auf Zuträgereien hin glaubte er skrupellos und maßlos züchtigen zu sollen. Endlich müssen auch die Folgen berücksichtigt werden, die zweifellos erhebliche Körperbeschädigung der Jungen und ihre Seelenpein. Und welchen unendlichen Schaden hat Breithaupt durch sein in keiner Weise entschuldbares Verhalten dem ganzen Fürsorgeerziehungswesen zugefügt!
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/301&oldid=- (Version vom 22.12.2023)