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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5

zwei Metzen Getreide entwendet und verkauft. Aus Angst, bestraft zu werden, habe ich mich selbst geknebelt und gefesselt und vorher die Mühle in Brand gesteckt. Die Geschichte mit den zwei vermummten Männern habe ich erfunden. Den Mühlknappen Schrader habe ich fälschlich beschuldigt, er ist vollständig unschuldig. Ich bin inzwischen Geselle und 22 Jahre alt geworden. Ich habe fast ganz Deutschland durchwandert, ich kann aber nirgends Ruhe finden. Das grinsende Gesicht des armen Mühlknappen Schrader, der schon seit sieben Jahren infolge meiner Aussage unschuldig im Zuchthause sitzt, verfolgt mich Tag und Nacht. Ich will, daß der arme Schrader sofort freigelassen und ich bestraft werde.“ Bei dieser Erzählung weinte der junge Mann heftig. Der Schutzmann führte den jungen Menschen zur nächsten Polizeiwache. Dort wiederholte Günther vor dem Polizeileutnant das Geständnis. Günther wurde nach Halberstadt transportiert. Dem noch amtierenden Ersten Staatsanwalt war diese Nachricht begreiflicherweise sehr fatal. Er sagte: „Der Müllergeselle hat jedenfalls keine Arbeit und möchte gern für den Winter ein unentgeltliches Unterkommen haben. Wir werden den Kerl sitzen lassen, bis ihm die Frühlingssonne in die Zelle scheinen wird, dann wird er seine Aussage schon widerrufen.“ Der Vorgang rief begreiflicherweise in der ganzen Kulturwelt eine furchtbare Erregung hervor. Schrader wurde aus dem Zuchthause entlassen, er war aber ein an Geist und Körper vollständig gebrochener Mann. In ganz Deutschland wurden zu seinen Gunsten Wohltätigkeitsvorstellungen veranstaltet, so daß ihm einige tausend Mark gegeben werden konnten. Günther hielt trotz aller Vorhaltungen sein Geständnis voll aufrecht. Es wurde deshalb wegen vorsätzlicher Brandstiftung und wissentlich falscher Anschuldigung die Anklage gegen ihn erhoben. Er hatte sich Ende Mai 1877 vor der Kriminaldeputation des Halberstädter Kreisgerichts zu verantworten. Da er zur Zeit der Tat erst 15 Jahre

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_5_(1912).djvu/181&oldid=- (Version vom 1.8.2018)