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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5

Aufgefallen sei ihr am nächsten Morgen, als die Vorsteherin sagte: „So, die Minna ist auf, ich habe gedacht, sie ist im Bett.“ Ebenso sei ihr aufgefallen, daß die Vorsteherin von Salzsäure sprach, als es noch niemand wußte. Als wir am Montag vormittag Dr. Eisenberg holen ließen, war die Vorsteherin in der Kirche. Bei der Rückkehr sagte sie zu mir: „Ich war in der Kirche und habe andächtig gebetet: Herr Gott, wie Du willst. Jetzt haben wir’s g’schafft, jetzt hab’n wir sie draußen.“ – Vors.: Wie war der Charakter der Angeklagten? – Zeugin: Sie war boshaft und verdrehte einem das Wort im Munde. Sie sei ebenfalls der Meinung, daß das fehlende Bier von den Malern getrunken worden sei. – Staatsanwalt: Glauben Sie, daß die Wilhelmine Wagner täglich 6–8 Flaschen Bier, das wären 4 Maß, getrunken hat? – Zeugin: Nein. – Eine weitere Zeugin war Bierbrauersfrau Babette Adam. Sie war früher Dienstmädchen im Stift: Die Vorsteherin habe sie, die Wagner und die anderen Mädchen oftmals beschuldigt, Bier gestohlen zu haben. Die Wagner stand zuerst bei der Oberin in hoher Gunst, später wollte diese sie aber aus dem Hause haben. Die Wagner sei ein gutes, ehrliches Mädchen gewesen. Die Angeklagte dagegen war lügnerisch, boshaft, rachsüchtig und mißtrauisch. Die Stiftsfräulein nannte sie „alte Laster“; nur mit der Neudegg stand sie sich gut. Wenn es Punsch oder Grog gab, bekam diese immer das meiste ab." (Stürm. Heiterkeit.) – Vors.: Trauen Sie der Angeklagten die Tat zu? – Zeugin: Das schon. Auch dieser Zeugin hatte die Wagner erzählt, daß ihr Onkel auf sie geschossen habe, weil sie zum katholischen Glauben übergetreten sei; ihr Großvater sei an ihrem Firmungstage vom Schlage gerührt und die Mutter gelähmt worden. – Unter allgemeiner Spannung wurde die 1877 geborene Krankenpflegerin Wilhelmine Wagner aufgerufen. Sie litt anscheinend noch immer an den Folgen der Vergiftung vom 20. Juli 1902 und mußte in den Saal hineingeführt werden. Sie nahm auf

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_5_(1912).djvu/196&oldid=- (Version vom 1.8.2018)