Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5 | |
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verschwunden zu sein. Dagegen wird in den gewöhnlichen Lokalen vielfach „Meine Tante, Deine Tante“ und „Grade oder Ungerade“ gespielt. Ungemein verbreitet ist das Wettspiel auf den Rennplätzen, auf denen betrügerische Buchmacher vielfach ihr Wesen treiben. An diesen Wettspielen beteiligen sich selbst viele Frauen und verspielen oftmals ihre letzten Ersparnisse. In den Zuhälter-Kaschemmen und in den Herbergen der Bäckergesellen wird in arger Weise dem Karten- und Würfelspiel gefrönt. Der Hannoversche Spielerprozeß und der Harmlosenprozeß haben bewiesen, daß junge Offiziere vielfach in schlimmster Weise der Spielleidenschaft frönen. Ein, im Mai 1911, vor der dritten Strafkammer des Landgerichts Berlin I stattgefundener Spielerprozeß wider Mattiske und Genossen hat gezeigt, daß von den besseren Gesellschaftskreisen im Herzen der Reichshauptstadt elegante Salons unterhalten werden, in denen der Eintritt nur unter Angabe eines Stichworts und Zahlung von mindestens 5 Mark gestattet wird. Ein großes, hochelegantes Büfett, das von jungen Damen bedient wird, sorgt für die leiblichen Bedürfnisse, und eine Roulette, sowie eine Reihe Kartenspiele laden aufs freundlichste ein, dem Glücke die Hand zu reichen. Ein Spielernest schlimmsten Grades schien die Residenzstadt Oldenburg zu sein. Das dortige Wochenblatt, der „Residenzbote“ enthielt im Jahre 1903 einige Artikel, in denen mitgeteilt wurde, daß von den Honoratioren Oldenburgs, an ihrer Spitze der frühere Erste Staatsanwalt des dortigen Landgerichts, jetzige Oldenburgische Justiz- und Kultusminister Ruhstrat im Zivilkasino und im Hinterzimmer des Restaurants „zum tollen Hengst“ viel und hoch hazardiert worden sei. Minister Ruhstrat sei zumeist Bankhalter gewesen. Die Hazardierungen haben es schließlich verursacht, daß ein Referendar wegen vieler Spielschulden sich erschossen habe und ein junger Assessor aus demselben Grunde nach Amerika ausgewandert sei. Minister Ruhstrat und Landrichter Haake, strengten gegen den Redakteur und Herausgeber des „Residenzboten“,
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_5_(1912).djvu/36&oldid=- (Version vom 24.4.2024)