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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5

wurde eine Oberlehrerstelle am hiesigen Gymnasium eingezogen. Obwohl ich nicht der jüngste Oberlehrer war, wurde ich an das Gymnasium zu Jever versetzt. Ich fühlte mich dadurch sehr gekränkt, zumal ich pekuniär sehr geschädigt wurde. Ich hatte hier Nebeneinnahmen von jährlich 1800 Mark, die in Jever wegfielen. Außerdem aß und wohnte ich hier bei meinen Eltern, während ich in Jever bei fremden Leuten essen und wohnen mußte. Meine Eltern haben mit großen Opfern meine Studien ermöglicht, ich fühlte mich daher verpflichtet, meine Eltern zu unterstützen. Dazu war ich aber in Jever nicht mehr imstande. Ich fühlte mich außerdem in Jever gesellschaftlich sehr vereinsamt, zumal alle meine Kollegen in Jever verheiratet waren. Ich hatte viele schlaflose Nächte. Ich fühlte mich umsomehr gekränkt, da die Versetzung eines Oberlehrers aus der Hauptstadt an ein Gymnasium der Provinz noch niemals vorgekommen war. Ein preußischer Schulrat, der einmal nach Jever kam, äußerte: Es muß doch ein trauriger Oberlehrer sein, den man von der Residenz in die Provinz versetzt! Diese vor Zeugen getane Äußerung mußte mich selbstverständlich ungemein verletzen. Ich kam allwöchentlich nach Oldenburg und jedesmal wurde ich über meine Lage umsomehr erregt, da ich meinen erkrankten Vater sah, den ich infolge meiner Versetzung nicht mehr unterstützen und nicht mehr pflegen und trösten konnte. Ich fühlte mich umsomehr verletzt, da ich der bestimmten Meinung war, meine Versetzung sei erfolgt, weil ich Mitgründer des hiesigen Oberlehrervereins war. Dieser, im Jahre 1898 begründete Oberlehrerverein nach preußischem Muster hatte den Zweck, für Erhöhung der Oberlehrergehälter zu wirken. Es wurde deshalb dem Ministerium eine Denkschrift eingereicht, in der es auch getadelt wurde, daß nicht akademisch gebildete Lehrer, z. B. die am hiesigen Lehrerseminar angestellten, den Titel „Oberlehrer“ erhalten. Ich war Verfasser der Denkschrift, das war der Regierung zweifellos bekannt. Es wurde auch in den Kreisen meiner Kollegen sofort, als

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_5_(1912).djvu/49&oldid=- (Version vom 28.4.2024)