Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6 | |
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gewähren, das übrige sollte er sich durch ehrliche Arbeit verdienen. Der junge Graf empfand aber zur Arbeit wenig Lust; um so größer war seine Neigung, sich in den Strudel der weltstädtischen Vergnügungen zu stürzen. Sehr bald war er Stammgast in den Lokalen, wo die feine Berliner Lebewelt verkehrt, wo man bei perlendem Sekt auf schwellendem Polster mit der in Seide rauschenden Halbwelt soupiert, während ein lustiger Walzer durch den Saal wirbelt und junge „Damen“ in seidenem Trikot die neuesten Tänze vorführen. Die väterliche Unterstützung von monatlich dreißig Mark reichte selbstverständlich zu einem solchen Leben bei weitem nicht aus. Aber einem Grafen Metternich, dessen Vater ein ungemein begüterter Schloßherr in Holland ist, dessen Oheim Botschafter des Deutschen Reiches in London und ein zweiter Oheim lebenslängliches Mitglied des preußischen Herrenhauses ist, öffnen sich nicht nur die Pforten zu den besten Gesellschaftskreisen, er hat auch überall Kredit. Als jedoch die zahlreichen Gläubiger die Wahrnehmung machten, daß der Vater des lebenslustigen jungen Grafen keineswegs willens war, die Berliner Schulden seines Sohnes zu bezahlen, da versiegte sein Kredit. Er borgte darauf Kokotten an und soll sich schließlich aufs Falschspiel verlegt haben. Er machte die Bekanntschaft mit dem „König der Falschspieler“, dem internationalen Hochstapler Stallmann, einem ehemaligen Handlungsgehilfen, der unter dem hochtönenden Namen „Baron v. Korff-König“ in Offizierskreisen Eingang gefunden hatte. Mit diesem soll Graf Metternich eine ganze Anzahl Offiziere durch Falschspiel um Unsummen betrogen haben. Als diesen Falschspielern in Berlin die Polizei auf den Fersen war, verlegten sie eiligst ihre Tätigkeit nach London und von dort nach Paris. Sie wurden steckbrieflich verfolgt. Graf Metternich tauchte schließlich in der Hauptstadt Österreichs auf, während es Stallmann gelang, nach Kalkutta zu entkommen. Graf Metternich verheiratete sich in Wien mit einer Schauspielerin und soll in der Tat
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/149&oldid=- (Version vom 5.1.2023)