Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6 | |
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gelebt hat, wie seine Altersgenossen. Er hat nur fünf Mark Taschengeld bekommen, die anderen jungen Leute dagegen bis zu 300 Mark. Glaubt der Sachverständige, daß dies auch ein Moment ist, um in dem Angeklagten eine große Erregung auszulösen, und die Differenzen mit seinem Vater ihm in einem übertriebenem Licht erscheinen zu lassen? – Dr. Forster: Allerdings würde ich es für einen Fehler erachten, wenn der Angeklagte in einem solchen Milieu mit einem so kleinen Taschengelde leben sollte. – R.-A. Dr. Jaffé: Ist der Sachverständige der Ansicht, daß der Mangel an Verständnis und Liebe zu seiner Familie von Einfluß auf die Psyche des Angeklagten war, daß beispielsweise der Vater, nachdem ihm der Angeklagte aus dem Untersuchungsgefängnis in einem etwas schroffen Briefe Vorwürfe über seine Zeugnisverweigerung gemacht hat, dem Verteidiger schreibt, er würde keine Briefe mehr in Empfang nehmen und auch nicht die Selbstbeköstigung im Gefängnis ferner bezahlen. Würde es der Sachverständige für richtig halten, daß der Vater den Sohn in so jungen Jahren, nachdem er ihn in ein Irrenhaus gesteckt hatte, allein nach Amerika spedierte? – Dr. Forster: Das ist ganz gewiß nicht richtig und würde schädlich auf die Psyche des Angeklagten wirken. – R.-A. Dr. Alsberg: Sie betonen jedenfalls besonders, daß die mangelnde Liebe, die man ihm zu Hause entgegengebracht hat, auf seine Entwicklung von ungünstigem Einfluß war. – Dr. Forster: Die Erziehung war eine falsche. – R.-A. Dr. Alsberg: Hat Ihnen der Angeklagte erzählt, daß das Gutachten des Prof. Dr. Aschaffenburg unzutreffend sei, daß er ihn zu kurze Zeit beobachtet habe und daß er nicht für geisteskrank erklärt sein wolle – Dr. Forster: Jawohl, das hat er mir gesagt. – Der Staatsanwalt kündigte hierauf an, daß er zu Dienstag den Generalmajor a. D. Pauli und den Kriminalkommissar Krüger laden werde, um näheres über die Persönlichkeit des ersteren festzustellen, der mit so großer Sicherheit so viel Günstiges über den
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/224&oldid=- (Version vom 25.12.2022)