Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6 | |
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subjektiv die Hoffnung auf eine günstige Gestaltung seiner Lebensverhältnisse haben könnte, so habe dieser Angeklagte mehr bewiesen, als vielleicht je ein vor ihm wegen Kreditbetruges Angeklagter bewiesen habe. Aber das Gesetz verlange nicht einmal einen solchen Nachweis. Der § 263 StGB. verlange vorsätzliche Schädigung der Gläubiger, und wer hier dem Angeklagten „Vorsatz“ zur Last lege, der zeige, daß er die Grenzlinie zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht kenne. Das ethische Kriterium des Handelns des Angeklagten sei Leichtsinn. Von „Vorsatz“ könne absolut keine Rede sein. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts stehe der Begründung des Staatsanwalts, der dem Angeklagten ein vorsätzliches Handeln vorwerfe, schnurstracks entgegen. Wenn man den dolus eventualis in dem Sinne auffasse, wie ihn das Reichsgericht festgestellt habe, so könne diesem Angeklagten ein dolus eventualis nimmermehr nachgewiesen werden. – Am achten Verhandlungstage fuhr R.-A. Dr. Alsberg fort: Selbst wenn man die Darstellung des Staatsanwalts zugrunde legt, kann man nicht zu dem Schlusse kommen, daß der Angeklagte vorsätzlich seine Gläubiger geschädigt hat. Selbst wenn man im Falle Gustke alles als richtig unterstellt, was Fräulein Elvira Gustke über das Zustandekommen des Wechsels gesagt hat, so wird doch niemand behaupten können, daß sich der Angeklagte damals gesagt hat: „Der Wechsel wird vielleicht nicht bezahlt werden können, das ist aber ganz gleichgültig.“ Drei Tage und drei Nächte hatte Elvira, wie sie selbst geschildert, mit dem Angeklagten durchgebummelt, viel Geld mit ihm verpraßt und viel Geld von ihm empfangen. Und als es dann ausgegangen war, will sie ihm angeblich 1000 Mark geliehen haben gegen einen Wechsel über 1200 Mark. Wenn man ihr diese Geschichte glaubt, dann muß man auch so gerecht sein, sich in die Seele des Angeklagten hinein zu denken, in dem Augenblick, wo dieses seltsame Geschäft zustande kam. In dem, wie Professor
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/260&oldid=- (Version vom 31.12.2022)