Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6 | |
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der Angeklagte so lange in Untersuchungshaft sitzt. Angesichts dieser Behauptungen möchte ich denn doch betonen, daß bereits am 1. April d. J. die Anklage in dem vorliegenden Verfahren eröffnet worden ist. Daß der Termin erst jetzt stattfindet, ist nicht meine Schuld. Was den Ablehnungsantrag der Verteidigung betrifft, so ist in dem Schriftsatze betont worden, daß ein gesetzwidriges Eingreifen des Justizministers in ein Verfahren vorliegt, und wenn dieser ganze Ablehnungsantrag überhaupt einen Sinn haben sollte, so war es nur der, daß der Justizminister wider Recht und Gesetz vorsätzlich Anweisungen zuungunsten des Angeklagten gegeben habe. Die Verteidiger wissen wohl selbst, wie ihre Standesgenossen über diese ganze Angelegenheit denken. – Der Staatsanwalt suchte des längeren die von R.-A. Dr. Alsberg vorgebrachten Ausführungen betreffend den Auslieferungsvertrag mit Österreich und die Angabe, daß der Angeklagte hier nur bestraft werden könne, wenn er auch nach österreichischem Gesetz zu bestrafen sei, zu widerlegen. Der Staatsanwalt hatte kein Bedenken, daß in allen Anklagefällen auch das österreichische Strafrecht Platz greift. Zuletzt betonte der Staatsanwalt, daß er nur diejenigen Fälle aufrechterhalten habe, in denen der Angeklagte nicht begründete Aussicht auf eine reiche Heirat hatte. – Vert. R.-A. Dr. Jaffé: Was die groben Ausdrücke anbelangt, so erkläre ich, daß diese lediglich ein Echo dessen waren, was sich der Staatsanwalt in diesem Termin geleistet hat. Der Staatsanwalt hat hier Ausdrücke gebraucht, wie: „die Verteidigung versteht es nicht“, „sie behauptet wider besseres Wissen“ und schließlich hat sich der Staatsanwalt sogar erlaubt, der Verteidigung Inkorrektheiten vorzuwerfen und mit Konsequenzen vor der Anwaltskammer gedroht. Daß wir dann in demselben Tone antworten, ist wohl selbstverständlich. Sind wir denn vogelfrei? Wird die Verteidigung nicht geschützt vor solchen Angriffen? Wenn dies nicht der Fall ist, so müssen wir uns selbst schützen. Stehen
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/264&oldid=- (Version vom 31.12.2022)