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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

den Tod zwei Wochen vorher voraus. Dies habe ihn (Zeugen) zuerst auf den Gedanken gebracht habe, daß mit dem Selbstmord Preßlers doch nicht alles so stimme. – Unter allgemeiner Spannung wurde hierauf Kaufmann Hans Merker als Zeuge aufgerufen. Er verbüßte zurzeit eine zweijährige Gefängnisstrafe. Bei seinem Eintritt in den Gerichtssaal warf er der Angeklagten einen flüchtigen Blick zu, die Angeklagte schlug die Augen zu Boden. – Merker bekundete: Ich lernte Grete Beier auf einem Maskenball des Kaufmännischen Vereins in Freiberg im Jahre 1905 kennen. Ich glaubte, sie sei ein gebildetes Mädchen aus guter Familie, das, was wir eine „Kronleuchterpartie“ nennen. (Heiterkeit.) Ich wußte nicht, daß sie schon vorher mit anderen Männern Verkehr gehabt hatte. Nach einiger Zeit bestellte sie mich des Nachts zu sich nach Brand, ohne daß ich wußte, weshalb das geschah. (Heiterkeit.) Diese nächtlichen Zusammenkünfte wurden immer häufiger und um sie zu rechtfertigen, sagte mir Grete Beier, ihre Eltern sähen unseren Verkehr nicht gern. Zu einem intimen Verkehr zwischen uns war es aber noch nicht gekommen. Das geschah erst, nachdem mir Grete einen Brief geschrieben hatte, in dem es hieß: „Hans, Du mußt mich viel, viel lieber haben!“ Später kam es zwischen uns zu Zwistigkeiten. Eines Abends wurde mir von einem Bekannten in einem Restaurant in Brand eine Verlobungskarte „Grete Beier – Preßler“ gezeigt. Ich war einfach baff. (Heiterkeit.) Ich gratulierte formell der Beierschen Familie und verhielt mich streng passiv. Nach vier bis sechs Wochen erhielt ich von Grete einen Brief, in dem sie mich um eine Unterredung bat. Ich lehnte aber ab. Wenige Tage darauf, es war neun Uhr abends, kam Grete selbst. An der Tür sank sie um. Ich glaube, daß dieser Ohnmachtsanfall geheuchelt war. Ich hob sie auf und trug sie auf die Chaiselongue. Ich fragte sie, warum sie sich verlobt habe. Sie antwortete, es sei so schnell gegangen, daß sie es nicht verhüten konnte. „Wenn

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/318&oldid=- (Version vom 1.8.2018)