Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6 | |
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nicht geschehen ist, muß dieser Verdacht nicht bestanden haben. Es liegt mithin kein gesetzlicher Grund vor, Nitter unvereidigt zu lassen. – Vors.: Nitter, der Gerichtshof wird sich jetzt schlüssig machen, ob Sie zu vereidigen sind. Der Herr Staatsanwalt hat beantragt, Sie unvereidigt zu lassen, der Herr Verteidiger, Sie zu vereidigen. Ich frage Sie nun, wenn der Gerichtshof beschließt, Ihre Vereidigung vorzunehmen, könnten Sie Ihre Aussage mit gutem Gewissen beschwören? – Nitter: Wenn ich jetzt etwas andres sage, dann wird man mir das ja auch nicht glauben. – Vors.: Es handelt sich nicht darum, was Ihnen geglaubt wird, sondern ob Sie bereit sind, Ihre Aussage zu beschwören. Sie wissen, daß auf Meineid eine Zuchthausstrafe bis zu 10 Jahren steht. – Nitter: Wenn ich einen Eid leiste, dann werden die Herren Geschwornen den Eid doch für einen Meineid halten. – Vors.: Sie weichen immer aus. Ob die Herren Geschwornen der Ansicht sind, daß Sie einen Meineid geleistet haben, braucht Sie nicht zu kümmern. Beantworten Sie die Frage: Sind Sie bereit, Ihre Aussage zu beschwören? – Nitter: Das kann ich nicht, denn ich bin überzeugt, sobald ich geschworen habe, wird der Herr Staatsanwalt sofort die Anklage wegen Meineids gegen mich erheben, da eine große Anzahl Zeugen das Gegenteil beschworen haben. – Vors.: Sie erklären also, daß Sie nicht bereit sind, Ihre Aussage zu beschwören? – Nitter: Ich bin bereit, zu schwören, wenn die Aussagen der anderen Zeugen für falsch erklärt werden. (Heiterkeit.) – Vors.: Sie werden doch selbst einsehen, daß das nicht ausführbar ist. Ich frage Sie also nochmals, wollen Sie Ihre Aussage beschwören? – Nitter: Unter diesen Umständen kann ich nicht schwören. Der Herr Staatsanwalt sagte, ich käme bei dem Morde als Mittäter in Betracht, gleichviel, ob ich geschossen habe oder nicht. Ich bemerke: wenn zwei Einbrecher verabreden, im Falle sie überrascht werden, zu schießen, so wird bei einer Überraschung
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/61&oldid=- (Version vom 9.12.2022)