Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6 Ein Kunstprozeß vor dem Breslauer Schöffengericht. Böcklin–Muther | |
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Die Kunst hat, ebenso wie ihre Schwester die Wissenschaft, und ihre Zwillingsschwester die Technik, in den letzten 50 Jahren ganz gewaltige Fortschritte gemacht. Schon im grauen Altertum und im ganzen Mittelalter ist die Kunst bei allen Kulturvölkern das verhätschelte Kind gewesen, zumal sie dem religiösen Kultus aller Konfessionen ganz unschätzbare Dienste leistete. Der Salomonische Prachttempel in Jerusalem, die Pyramiden und Obelisken in Ägypten, die prächtigen Denkmäler im alten Athen, die christlichen Kirchen des Mittelalters waren in der Hauptsache Erzeugnisse der Kunst. Deshalb wurde die Kunst zu allen Zeiten und bei allen Kulturvölkern gefördert, während die Wissenschaft vielfach Anfeindungen zu erdulden hatte. Aber auch die Fortschritte der Kunst und Technik fanden nicht allgemeine Anerkennung. Noch jetzt ist man mittels der sog. Lex Heinze bemüht, der Kunst Schranken zu ziehen. In unserem vom Materialismus beherrschten Zeitalter ist auch der Kunst ein wesentliches Hemmnis in Gestalt der wirtschaftlichen Not entstanden. „Die Kunst geht nach Brot.“ Dieser tatsächliche Zustand ist ein arger Krebsschaden unserer vielgerühmten Kultur. Nicht bloß der Mann der Wissenschaft, auch der Künstler ist vielfach genötigt, der augenblicklichen Zeitrichtung zu entsprechen. Der Künstler ist ebenso wie der Mann der Wissenschaft vielfach Lohnarbeiter der herrschenden Richtung geworden. Nicht gering ist die Zahl der Künstler, die am Hungertuch nagen. Am 4. Juli 1911 wurde der Sohn des berühmten Malers Giovanni Segantini, der Maler Leopoldo Segantini, aus
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/74&oldid=- (Version vom 31.7.2018)