Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7 | |
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hatte ich ohnehin keine Neigung. Ich wollte studieren, um mich auszubilden, und wollte mich ausbilden, um meine Pflichten in Staat und Gesellschaft erfüllen zu können. Mit 16 Jahren kam ich auf die Universität, nachdem ich im Abiturientenexamen die erste Note empfangen hatte. Ich bemerke das, nicht um zu prahlen, sondern um das Gießener Polizeimachwerk zu kennzeichnen, das mich zum verkommenen Subjekt stempeln will. Wie schon angedeutet, studierte ich die verschiedensten Materien. Ich tastete hin und her, gleich jedem Studenten, der wirklich lernen will und nicht in der Zwangsjacke eines Brotstudiums steckt. Den Gedanken, in den Staatsdienst zu treten, gab ich endgültig auf, da er sich mit meinen politisch-sozialen Anschauungen nicht vertrug. Aber ich hegte eine Zeitlang den Plan, Privatdozent zu werden, und hoffte, vielleicht auf einer der kleineren, unabhängigen Universitäten eine Professur zu erlangen. Doch in diesem Wahn wiegte ich mich nicht lange. Ich überzeugte mich, daß ich, ohne meine Grundsätze zu opfern, nicht die mindeste Aussicht hatte, die Lehrberechtigung zu bekommen, und faßte deshalb im Jahre 1847 den Entschluß zur Auswanderung nach Amerika. Ungesäumt traf ich die nötigen Vorbereitungen und war schon auf der Reise nach einem Seehafen begriffen, als ich zufällig im Postwagen die Bekanntschaft eines in der Schweiz als Lehrer ansässigen Mannes machte, der meinen Plan mißbilligte, und mir, unter Hinweis auf die allem Anschein nach nahe bevorstehende Umgestaltung der europäischen Verhältnisse, mit so beredten Worten die Übersiedelung nach der republikanischen Schweiz riet, daß ich auf der nächsten Poststation umkehrte und, statt nach Hamburg, nach Zürich fuhr. Dort wollte ich mir auf den Wunsch mehrerer Staatsbeamten, an die ich von meinem neugewonnenen Freund empfohlen war und die sich gegenwärtig zum Teil in hervorragenden Stellungen befinden, das Bürgerrecht erwerben und mich der Advokatenkarriere widmen. Liebknecht schilderte alsdann seine
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/136&oldid=- (Version vom 14.3.2023)