Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7 | |
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Staat maßgebenden Faktoren. Gehen diese letzteren auf unsere berechtigten Forderungen ein, nun dann gibt es keine Revolution, im andern Falle lasse ich dahingestellt sein, was geschehen wird. Das Verweisungserkenntnis sagt freilich, die „Internationale“ verfolge „notorisch“ revolutionäre Ziele. Das Wort „notorisch“ wird aber gewöhnlich gebraucht, wo Beweise fehlen – so auch in diesem Punkte der Anklage. Ich verlange Beweise dafür, daß die „Internationale“ revolutionäre Ziele im Sinne der Staatsanwaltschaft und der Anklage verfolgt. Dieses „notorisch“ genügt mir nicht. – Mit Marx habe ich freundschaftlich korrespondiert, er ist mein Freund seit Jahren – aber ich habe so wenig von ihm, wie von sonst jemand Befehle entgegengenommen, und jedermann, der mich kennt, wird es unterlassen, mir zu insinuieren, daß ich mich überhaupt „leiten“ ließe. Ich erkläre entschieden, daß wir nicht in einer abhängigen Stellung zu dem Generalrat der „Internationale“ uns befinden und daß wir niemals eine Weisung von ihm erhalten haben. Mein Verkehr mit Karl Marx war rein privater Natur, obgleich wir selbstverständlich unsere Meinungen auch über öffentliche Angelegenheiten austauschten. – Vors.: Der letzte Anklagepunkt besagt, daß Sie durch Ihre Parteibestrebungen einen gewaltsamen Umsturz der Verfassung des Norddeutschen Bundes, jetzigen Deutschen Reiches und der Sächsischen Staatsverfassung bezweckt haben. – Angekl. Liebknecht: Wir haben niemals einen derartigen Plan gehabt. Was wir bezweckten und bezwecken, ist: das Volk von der Richtigkeit unserer Prinzipien zu überzeugen, die Majorität für uns zu gewinnen. Unser Streben, diese Majorität zu gewinnen, ist ein vollkommen gesetzliches gewesen. Haben wir die Majorität, so wird die Staatsanwaltschaft ihre Anklage gegen die künftige Minorität, die heute als Majorität uns wegen Hochverrats anklagt, zu richten haben, falls jene Minorität dann der Verwirklichung unserer Ideen mit Gewalt entgegentreten sollte.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/145&oldid=- (Version vom 14.3.2023)