Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7 | |
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überall ihre Hand im Spiele. Sie beschlagnahmt auf der Post Briefe. – Vors.: Ich muß dem Angeklagten bemerken, daß die Polizei eine Beschlagnahme von Briefen gar nicht vornehmen kann, das kann lediglich auf richterlichen Beschluß erfolgen. Ich ersuche Sie aber, jetzt zu Ihrer Verteidigung überzugehen. – Reinsdorf: Nun, mein Herr Verteidiger hat sich alle Mühe gegeben, meinen Kopf zu retten; ich sage ihm dafür meinen besten Dank. Allein ich bemerke, wenn ich noch zehn Köpfe hätte, dann würde ich sie mit Freuden opfern, um diese elende, erbärmliche Gesellschaft. – Vors.: Ich kann nicht dulden, daß Sie derartige Beleidigungen aussprechen. – R.: Ich frage, was ist denn bisher für die Arbeiter geschehen? Man sagt: die Regierung hat das Kranken- und Unfallversicherungsgesetz gegeben. Man vergißt bloß, daß daneben das Sozialistengesetz und der Belagerungszustand besteht, und daß, sobald ein Arbeiter aus einem Orte ausgewiesen, er gewissermaßen aus ganz Deutschland ausgewiesen ist. Er muß ins Ausland gehen und auch dorthin verfolgt ihn noch die Polizei. Die Lage der Arbeiter in Deutschland ist eine zu traurige, als daß solche Brosamen, wie sie seitens der Regierung gezeigt werden, helfen können. Der Herr Reichsanwalt sagte: Man steht vor einer ernsten Tatsache. Ernst sind aber ganz besonders die Ursachen, die die Tatsachen, die hier zur Verhandlung gekommen, geschaffen haben. Oder glauben Sie vielleicht, daß alle diese Leute, die hier sitzen, zum Vergnügen die Attentate begangen haben? Und erwägen Sie doch, daß es noch eine unendlich große Zahl gibt, die gleich mir zu Begehung solcher Attentate sofort bereit sind! Der Herr Reichsanwalt sagte: Jeder Christenmensch muß zurückschrecken vor solchen Verbrechen. Ja, warum schrecken denn die Christenmenschen nicht vor der Ausbeutung der Arbeit zurück? Wenn die Arbeiter sich die Ausbeutung ruhig gefallen lassen würden, ohne dagegen etwas zu unternehmen, dann müßte der Kulturfreund
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/237&oldid=- (Version vom 24.7.2024)