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Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1

Man vernahm auch ein eigentümliches Geräusch, das aus dem jüdischen Tempel kam. Es sei, so war im Dorf die Ansicht, mithin kein Zweifel, Esther sei von den Juden im Tempel geschächtet worden.

Aber darauf allein konnte der jugendliche Untersuchungsrichter nicht eine Anklage wegen Mordes aufbauen. Er mußte dem Gerichtshof womöglich jüdische Zeugen vorführen. Als er eines Tages wieder in das Theißdorf kam, sah er ein kleines Judenknäblein aus der Hütte des Synagogendieners Josef Scharf huschen. Es war der jüngste Sohn des Tempeldieners, der 4½jährige Samu. Dieses armselige Kind fragte der Untersuchungsrichter aus, und aus dem kindlichen Geplapper des kleinen Knaben wollte er entnehmen, daß die Juden die Esther Solymosi geschlachtet hätten. Aber diese kindlichen Aussagen erschienen dem Untersuchungsrichter zu dürftig.

Der kleine Samu hatte noch einen älteren Bruder, namens Moritz. Dieser war 13 Jahre alt und nach ungarischen Gesetzen eidesmündig. Bary ließ Moritz Scharf verhaften und, in Ketten geschlossen, nach Nyiregyháza transportieren. Hier wurde Moritz Scharf ins Verhör genommen, aber ohne Erfolg. Nun ließ Bary den armen Knaben windelweich prügeln, damit er „gestehen“ solle. Moritz Scharf beteuerte, er könne nichts sagen, er wisse nichts von dem Verbleib der Esther Solymosi. Daraufhin versuchte es Bary mit einer Hungerkur. Moritz Scharf bekam mehrere Tage weder etwas zu essen noch zu trinken. Der Knabe

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Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1. Continent, Berlin 1908, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Kulturhistorische_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1908).djvu/36&oldid=- (Version vom 31.7.2018)