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Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1

Der Doppelmordprozeß Herbst.

Im Jahre 1885 machte ein Doppelmord in Mainz ungeheures Aufsehen.

Ein Schuhmacher Wothe verheiratete sich mit einer Prostituierten, die wegen ihrer rotblonden Haare „Rot-Gretl“ genannt wurde. Die Heirat war wahrscheinlich nur eine Scheinheirat. Wothe war homosexuell veranlagt und soll, als er eine längere Zuchthausstrafe verbüßte, der Schrecken aller jüngeren Zuchthäusler gewesen sein. „Rot-Gretl“ soll auch nach ihrer Verehelichung in uneingeschränkter Weise ihrem unsauberen Gewerbe nachgegangen sein. Sie soll sich allabendlich in Mainz herumgetrieben und sich hoher Gönnerschaft erfreut haben. Auch soll sie, als sie bereits „Frau Wothe“ war, noch zu den gefeierten Schönheiten zweifelhaften Rufes in Mainz gezählt haben.

Schon lange vor ihrer Verheiratung hatte sie mit einem Schuhmacher Herbst, der bei ihrem Manne als Geselle arbeitete, ein intimes Verhältnis unterhalten. Herbst hatte Wothe im Zuchthause kennen gelernt und war über die Veranlagung Wothes genau unterrichtet. Da Herbst in die „Rot-Gretl“ sterblich verliebt war, bedauerte er es sehr, daß diese dem Wothe die Hand zum Ehebunde reichte. Herbst’s Eifersucht war so groß, daß er sofort nach der Verheiratung der Rot-Gretl den Entschluß faßte, ihren Ehemann aus dem Wege zu räumen.

An einem Spätnachmittag war Herbst mit Wothe allein. Letzterer saß auf seinem Schusterschemel und arbeitete emsig. Diesen Augenblick benutzte Herbst,

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Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1. Continent, Berlin 1908, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Kulturhistorische_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1908).djvu/64&oldid=- (Version vom 1.8.2018)