der Herstellung der ersten größeren, 115 Kilom. langen Eisenbahn Deutschlands ins Werk setzten.
Aber wie in vielen Dingen, so ist auch hier die Zeit es gewesen, welche uns, den Nachkommen, gebietet, die Gaben unseres Dankes hier und da anders zu vertheilen, als dies die Zeitgenossen vermochten. Es ist nun einmal die Schattenseite aller Gegenwart, daß sie nur selten gestattet, den Werth und das Verdienst der in ihr um die Bessergestaltung der Dinge Ringenden voll zu würdigen. Nur wenigen wird dieses Glück zu Theil; in den meisten Fällen findet, je nach Gunst der Verhältnisse, eine Ueber- oder Unterschätzung des Einzelnen statt. Erst wenn Jahre dahingegangen und die Saaten einstigen hohen und edlen Strebens aufgegangen sind und deren Segen für die Menschheit erkennbar geworden, gebietet der unparteiische Blick der Nachwelt die Feststellung gebührenden Verdienstes und Ruhmes.
Unter den Männern, welche die Leipzig-Dresdner Bahn in’s Leben riefen, nennt uns auch Dr. von Falkenstein an erster Stelle den Namen List. Dieser Name ist stets zuerst genannt worden, wenn es sich um eine Aufzählung der verdienstvollen Begründer jenes Unternehmens gehandelt hat. Daraus aber schließen zu wollen, daß List bereits genügend gewürdigt worden, müßte als ein Irrthum hingestellt werden, der nur aus der Unkenntniß der List’schen Thätigkeit hervorgegangen sein könnte. Zwar haben wir die Genugthuung, daß neuerdings mehr und mehr der Ruhm dieses Mannes als der größte Volkswirth unserer Nation in breitere Schichten der Gebildeten dringt, aber bis auf wenige hocherfreuliche Ausnahmen[1] war bis vor Kurzem im Allgemeinen nur wenig für die Klarstellung seiner Verdienste geschehen, obgleich er verdiente, dem Volke ebenso bekannt zu sein, wie so viele andere großen Männer, die für das Wohl ihres Vaterlandes ihr Bestes und Alles einsetzten und denen die Nation so gern eine dankbare Gesinnung wahrt.
Am allerwenigsten hat sich nach dieser Richtung hin eine Schrift Mühe gegeben, der es zu allererst zukam, wenn auch
nicht List’s ganzer Wirksamkeit als Volkswirth, so doch seiner
- ↑ Vor allen ist hier zu nennen: Prof. Ludw. Häußer’s Ausgabe von Friedrich List’s gesammelten Schriften. 3 Theile. Stuttgart und Tübingen. Cotta’s Verlag. 1850. — Niedermüllers Vertheidigung List’s in seiner Beziehung zum Comité der Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie (in den „Grenzboten“, Jahrgang 1879).
Robert Krause: Friedrich List und die erste große Eisenbahn Deutschlands. Leipzig 1887, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_List_und_die_erste_grosse_Eisenbahn.djvu/05&oldid=- (Version vom 18.8.2016)