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gebe ich hier einige Stellen aus dem ersten Gesänge in metrischer Übersetzung.

Die Königstochter Tinatina schildert der Dichter folgendermassen:

Der König hatte eine einzige Tochter,
Ein Bild der Sonne selbst im Morgenlande.
Herz, Seele und Verstand entriss sie Allen,
Die jemals sie geschaut von Angesicht.

Die Schönheit Autandils und seine Liebe zur Königstochter malt er mit nachstehenden Worten:

Ein Rittersohn war Autandil, der erste
Der Obersten im Heer des tapfern Königs,
An Schlankheit übertraf er die Cypresse
Und hell und schön war seiner Augen Glanz.
Zwar jung noch, glich doch seiner Seele Stärke
Der edlen Härte eines Diamanten.
Der schönen Königstochter Feuerblicke
Entzündeten gar bald sein junges Herz
Und schlugen Wunden ihm, die nimmer heilen.
Gar lange hielt er heimlich seine Liebe
Und in der Trennung mit der Teuren schwand
Die Rosenröte seiner frischen Wangen.
Doch als das Los ihn wieder zu ihr führte,
Drang bald des Herzens Glut ihm ins Gesicht
Und wieder öffnete sich seine Wunde.
So quält geheime Liebe junge Herzen.

Bei ihrer Thronbesteigung verteilt Tinatina reiche Geschenke unter das Volk:

An jenem Tag verteilte sie die Schätze,
Die sie von früher Kindheit an gesammelt.
Wie Beute nach der Schlacht ergriff das Volk
Die ihm so reichlich zuerteilten Gaben.
Die einen nahmen prächtig schöne Rosse,
Die andern Perlen, Gold und Edelsteine.
So fegt der Wind den trocknen Schnee hinweg.
Wie sie der Schätze Last bei Seite schafften.
Kein einziger ging heim mit leeren Händen.

Empfohlene Zitierweise:
Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/103&oldid=- (Version vom 1.8.2018)