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romantischen Anblick gewährt. Unmittelbar an der Mündung der Aragwa in den Kur liegt das alte Mzchet, die ursprüngliche Hauptstadt Georgiens, ihm gegenüber aber, auf einem steilen Berge ein sehr altes Kloster, zu dessen grauem Gemäuer wir hinaufklimmen. Wie der grösste Teil der georgischen Klöster, stammt auch dieses aus einer entlegenen Epoche, obgleich es wenig wahrscheinlich ist, dass es im fünften Jahrhunderte gegründet wurde, wie eine über dem Portale eingemauerte Steintafel verkündet. Man muss wohl in dieser Hinsicht einigen Unfug getrieben haben und wahrscheinlich wurden beim Umbau die mit alten Inschriften versehenen Tafeln wieder in das neue Gemäuer eingefügt. Nur auf diese Weise lässt sich das angebliche Alter vieler georgischer Kirchen und Klöster erklären.

Wie dem auch sei, so hat jedenfalls dieses Kloster wie viele andere mehrere Jahrhunderte überdauert und war einst Zeuge eines anderen, bewegteren Lebens als das, welches heute in seiner nächsten Umgebung pulsiert.

Neben dem Kloster standen früher noch andere Gebäude, von denen jedoch nur Trümmer übrig geblieben sind. Die Architektur des noch erhaltenen Baues ist zwar nicht bemerkenswert, wohl aber ist es der Ort, denn auf diesem steilen und schwer zugänglichen Berge war es keine Kleinigkeit, so dicke und umfangreiche Mauern aufzuführen.

In allen Gegenden Georgiens findet der Wanderer auf hohen Bergspitzen ähnliche Riesenbaue, die einen Beweis von dem religiösen Unternehmungsgeiste liefern, der die Georgier früherer Jahrhunderte beseelt haben muss. Jene Menschen wandten alle ihre Kraft dazu an, ihr Vaterland zu verteidigen und ihren Religionskultus zu verherrlichen; andere Bestrebungen waren ihnen fast fremd. Diese zwei Faktoren ihres geschichtlichen Daseins zeigen sich in jeder Episode der Vergangenheit Georgiens und jedenfalls waren sie zur Zeit seiner Grösse die Haupttriebfedern aller

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Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/64&oldid=- (Version vom 1.8.2018)