Seite:Geschichte der protestantischen Theologie 633.png

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zwischen der fides historica und der evangelischen fides wird fast gänzlich vergessen; der Kirche wird eine in ihr selbst ruhende göttliche Autorität beigelegt, der sich zu unterwerfen Pflicht sei. Schelwig eifert gegen Speners gewissenhafte Forderung, daß Keiner die symbolischen Bücher unterschreiben soll, der sie nicht sorgfältig geprüft habe, und meint: zwar gelesen sollte sie jeder zukünftige Lehrer der Kirche haben. Aber es gehe über die Kräfte des Einzelnen, Alles in ihnen gebührend zu prüfen. Für den, der das nicht vermöge, sei es genug, daß nach seinem Begriff sich nichts Falsches darin finde: das Uebrige überlasse er seiner Mutter, der Kirche, und traue derselben als ein gehorsamer Sohn und daß sie die Glaubensbücher geprüft habe.[1] So war es nicht befremdlich, daß Manche den symbolischen Büchern eine Art Inspiration zuschrieben. (s. o. S. 559.) Aber eine Tradition mit eingebornem göttlichem Ansehen, an die Stelle der Schrift sich setzend und alles solide Schriftstudium entnervend und verfälschend, bleibt für sich ohnmächtig, wenn sie nur in Schrift und Buchstaben, nicht auch in lebendigen Personen repräsentirt ist. Jener Zug zur Verwischung des Unterschiedes zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche, zur Vergöttlichung der Kirchenanstalt wie sie war, konnte nicht ruhen, er mußte auch die Träger des Amts der Kirche mit göttlichen Prädikaten ausstatten. Und wirklich lehrt nicht bloß der genannte Simon: daß die Decisionen eines (geistlichen) Ministeriums einerlei Obligationen mit dem Worte Gottes hätten,[2] sondern selbst ein Löscher hält an der Lehre fest: weil dem Worte Gottes (mag es sich in der heiligen Schrift oder in den Bekenntnissen oder in der Predigt u. s. w. finden) die Kraft eingeboren ist, Jedem, der damit in geistige Berührung kommt, die Erleuchtung zu geben, die schon ein Anfang der Wiedergeburt ist und bei genügender Vollständigkeit diese sicher wirkt, so wohnt dem Geistlichen unabhängig von seinem Wandel eine göttliche Amtsgnade bei. (s. o. S. 562. 588.) Er ist nicht bloß ein Werkzeug, sondern eine Werkstatt des heiligen Geistes, und dem Worte (fügt Schelwig mit den Wittenbergern ohne Tadel Löschers bei) kommt seine Kraft auf die Gemüther von dem Amte. Mit welchem Eifer daher auch an der von Luther doch freigestellten Privatbeichte und an der collativen Absolution durch den Pastor festgehalten wurde, zeigt der Streit mit


  1. a. a. O. S. 235.
  2. a. a. O. S. 185.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_633.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)