Seite:Geschichte der protestantischen Theologie 667.png

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überschritten werden will: aber der Proceß des göttlichen Lebens, der dazu führen soll, ist rein kosmisch und entrückt uns gnostisch dem Boden der Geschichte und der Offenbarung.

3. Zinzendorf und die Brüdergemeine.[1]

Von dem gesetzlichen Geiste, der im Hallischen Pietismus immer mehr die Oberhand gewann, und der vornehmlich den Willen, mehr in negativer beschränkender als schöpferischer Weise in Anspruch nahm, wendet sich Graf Zinzendorf und seine Gemeinde bewußt ab, und der Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit des religiösen Gefühls zu. Er ergreift also damit wiederum das mystische Element des reformatorischen Princips, das im Pietismus zurücktrat, aber nicht mehr in solitärer oder monadischer Form, wie so viele der Mystiker, die in der evangelischen Christenheit neben dem öffentlichen Leben der Kirche einhergehen. Zu dieser Vertiefung ins Innere, zu diesem Geist des Friedens und der Liebe gesellt sich vielmehr nach außen bei den Gaben Zinzendorfs ein lebendigerer Gemeinschaftsgeist und eine stärkere organisatorische Kraft, als sie dem Pietismus eignet.

Zinzendorf geb. 1700, hat in seiner von der Kirche gesonderten und doch von Sectengeist freien reinern Gemeinde eine Organisation geschaffen, die zwar nicht auf große Landeskirchen anwendbar ist, aber sie theils voraussetzt, theils befruchtet. Durch die Vereinigung verschiedener evangelischer Confessionen als verschiedener Tropen in seiner einen Gemeinde hat er vorbildlich eine Union der evangelischen Confessionen hinzustellen gesucht.[2]

Der Stamm der Brüdergemeinde kommt zwar von den mährischen Brüdern her, von Resten aus den hussitischen Verfolgungen, ja von den Waldensern. Aber durch Zinzendorf trat in diesen Stamm bestimmter das lutherische Element ein und wenn gleich die Seinigen sich keiner lutherischen Landeskirche anschloßen, sahen sie sich doch innerlich als Genossen der Augsburgischen Confession an. Zinzendorf hat sich von der Tübinger Facultät


  1. Zinzendorf, Ein und zwanzig Discurse über die Augsburger Confession vom Jahr 1747. 1748. Ferner: das Brüdergesangbuch; die Sammlung der Schriften Zinzendorfs. Weitere Literatur siehe bei Schneckenburger, Vorlesungen über die Lehrbegriffe der kleineren protestantischen Kirchenparteien 1863. S. 152 ff.
  2. Vgl. den trefflichen Artikel von Twesten über „evangelische Union“ in Herzogs theol. Realencyclopädie.
Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_667.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)