Seite:Glueckel 006.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Denn der große Gott ist barmherzig. Was ist denn sonst Gott daran gelegen, ob der Mensch gut oder, Gott behüte, böse ist, »nur aus Gerechtigkeit und Barmherzigkeit hat er es uns getan, wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt«. Wir sind seine Kinder, Gott hat Mitleid mit uns, wenn wir nur selber wollen. Wir bitten »erbarme dich unser, wie ein Vater seiner Kinder«.

Wehe, wenn sich Gott nicht sollte unser erbarmen, wie Eltern über Kinder. Ein Mensch, der ein böses Kind hat, tut an ihm und hilft ihm zweimal und dreimal, endlich wird er müd und verstößt sein böses Kind und läßt es geh’n, wenn er auch wissen muß, daß es sich sollt verrecken.

Aber wir armen Kinder, wir sündigen gegen unseren himmlischen Vater allezeit, alle Stunde, alle Augenblicke; aber der große, gütige, himmlische Vater läßt uns doch durch seine große Barmherzigkeit wissen, wann wir schon sehr mit Sünden beschmutzt sind. Und wenn wir ihn mit ganzem Herzen anrufen und für unsere Sünden Buße tun, nimmt er uns viel eher wieder an, als ein menschlicher Vater sein böses Kind.

Darum, meine herzlieben Kinder, verzweifelt – Gott bewahre – nicht an Buße, Gebet und Almosen, denn dem großen Gott seine Barmherzigkeit ist gar groß. Gott ist gnädig, barmherzig und langmütig ebensowohl zu dem Bösen als zu dem Gerechten, so sie ihre bösen Taten lassen und beizeiten Buße tun. Gewiß soll sich ein sündiger Mensch so viel als möglich vorsehen, daß er nicht sündigt. Jeder Mensch weiß, was für eine Sünde es ist, wer wider seinen Vater sündigt, und wie wohlgefällig, welche Guttat es ist, wer Vater und Mutter ehret; und wieviel mehr soll man sich dann in acht nehmen, daß wir unseren himmlischen Vater, der uns und unsere Eltern erschaffen hat, nicht erzürnen sollen. Denn der große gütige Gott hat uns sündige Menschen nackt und bloß erschaffen, er gibt uns das Leben, Essen und Trinken, Kleider und alle unsere Bedürfnisse haben wir durch seine heilige milde Hand. Obschon es der eine besser als der andere auf der Welt hat, so können wir nichts judizieren,

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_006.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)