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Seite:Glueckel 033.jpg

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Also ist denn mein Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – mit dem Pfand gekommen, da hat sie laut hebräisch zu singen angehoben: »Beim Leben, das Pfand nicht geben. Heute ist er hier und morgen ist er geflohen.« In der Hast hat sie nebbich nichts anderes herausbringen können.

Also sagt mein Vater zu dem Offizier: »Mein Herr, wo ist das Geld?«

Sagt der Offizier: »Gebt mir das Pfand.« Sagt mein Vater: »Ich geb kein Pfand; ich muß das Geld erst haben.«

Also sagt der eine Offizier zu dem anderen: »Brüder, wir sind verraten; die Dirne muß Französisch können!« und laufen mit Drohworten zum Haus hinaus.

Den anderen Tag kommt der Offizier allein zu uns und gibt meinem Vater das Geld mit den Zinsen für das Pfand und sagt: »Ihr habt es gut zu genießen gehabt und euer Geld gut angelegt, daß ihr eure Tochter habt Französisch lernen lassen«, und geht damit seines Weges.

Nun, mein Vater – sein Andenken sei geehrt – hat die Stieftochter bei sich gehabt und sie nicht anders als sein leibliches Kind gehalten. Er hat sie auch verheiratet und gar eine gute Heirat für sie gemacht.

Sie hat gekriegt aus Aurich den Sohn von Reb Kalman Aurich. Aber sie ist beim ersten Kind gestorben – sie ruhe in Frieden – und etliche Tage danach hat man sie beraubt und ihr die Sterbekleider ausgezogen. Dann ist sie im Traum erschienen und hat die Sache erzählt. Man hat sie ausgegraben und hat solches gefunden.

Da sind die Weiber flugs gegangen und haben ihr andere Sterbekleider genäht. Wie sie sitzen und nähen, kommt die Magd in die Stube und sagt: »Um Gottes willen, eilt euch mit eurem Nähen. Seht ihr nicht, daß die Tote zwischen euch sitzt?« Aber die Weiber haben nichts gesehen. Wie sie fertig gewesen sind, haben sie der Toten ihre Sterbekleider gegeben. So ist sie ihr Lebtag nicht wieder gekommen und in ihrer Ruhe geblieben.

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_033.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)