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ist? Es müssen Diebe drinnen sein, die alles heraustragen.« Da haben sie nach dem Tempeldiener geschickt und die Synagoge aufmachen lassen. »Keine Stimme und keine Antwort.« Man hat nicht gefunden, daß ein Stückchen von seinem Ort verrückt war, so daß man leider Gottes nicht weiß, um wessen willen dieses Unglück geschehen ist.

Es ist leider eine große Vertaumelung gewesen, die Weiber haben gemeint, die Männersynagoge fällt ein, und die Männer haben gemeint, die Weibersynagoge fällt ein. Daher haben die Männer den Weibern zugeschrien, sie sollten sich aus der Synagoge machen. Kurz, man kann es nicht reden oder schreiben, wie der Schlag leider gewesen ist. Die meisten Männer und Frauen haben einen großen starken Schlag gehört, als wie ein Donnerschlag und als wenn man ein Gestück losschießt. Die meisten haben solches gehört, viele haben gar nichts gehört, so wie auch ich, Mutter, auch nichts gehört habe.

Nun haben wir den heiligen Tag in Kummer und Nöten verbracht, da wir uns billig an dem heiligen Tag, da die Thora begeben ward, freuen sollten, ist nur Kummer und Sorge und Stöhnen gewesen. Der Vorbeter Reb Jokel ist aus dem größten Gebet aus der Synagoge heimgegangen und ein anderer Vorbeter hat sich hingestellt und gebetet, hat aber wenig oder gar nicht gesungen. Einige fromme Weiber haben einen Verein gemacht und haben zehn Schriftgelehrte gedungen, die alle Tage morgens um 9 Uhr ins Bethaus gehen sollten und Psalmen sagen, auch sollten sie eine Stunde lernen, damit die, welche Waisen geworden sind, Seelengebete sagen konnten. Gott soll ihre Seelen mit Wohlgefallen aufnehmen und soll ihren Tod, welcher so absonderlich gewesen ist, als eine Sühne für ihre Sünden aufnehmen, und ihre Seelen sollen eingebunden sein im Bündel der Lebenden im Garten Eden. Und sie sollen allen verzeihen, die ihnen so nahe gekommen sind, daß sie leider um ihr Leben gekommen sind. Und sie sollen auch zu Gott – er sei gelobt – beten, daß er alles verzeiht.

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_312.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)