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Gottfried Keller: Zwei autobiographische Schriften. In: Nachgelassene Schriften und Dichtungen, S. 1 - 22

     Das scheint nicht ungünstig zu lauten; allein in einem andern Liede heißt es:

Mein mueterlein das fraget aber mich:
ob ich wolt ein’ schreiber? „awe, nein!“ sprach ich,
„näm ich denn ein’ schreiber zu einem manne,
so hieß man mich frau schreiberin
und ein dintenzetterin;
wär mir ein schande,
kein ehr im lande!“

     Dies klingt schon weniger vortheilhaft. Freilich scheint es sich in beiden Zeugnissen mehr um Amts-, Raths- oder Gerichtsschreiber zu handeln, um eine Art kleinen Kanzlerthumes. Und auch in dieser Richtung haben sich die Dinge geändert. Die Zeit ist lange dahin, da der Schreiber, das Tintenfaß am Gürtel, bei schönem Wetter Hexen und Ketzer verbrannte, einen Rathsschmaus einrichtete, mit Herold und Trompeter durch die Stadt ritt, die Frühlingsmesse auszurufen, oder gar mit dem Banner ausrückte, um als Feldschreiber die glorreiche Züchtigung der Widersächer an den Rath zu berichten. Von alledem ist nicht mehr die Rede. Jahr aus und ein sitzt man am stillen Schreibtisch und kämmt zerzauste Eisenbahnconcessionen aus, oder paragraphirt Gesetzesentwürfe, wie sie aus den Zusätzen und Abstimmungen von einem oder zwanzig Dutzenden turbulenter Köpfe hervorgegangen sind, vielleicht in einem kurzen Jahrzehend zum zweiten und dritten Mal über denselben Gegenstand. Indem man die Promulgation des Neuesten besorgt und in dem abgegriffenen Handexemplar der Gesetzsammlung, das schon von den Randglossen entschlafener Vorgänger bedeckt ist, wieder Seite um Seite aufgehobener Bestimmungen durchstreicht, die man vor wenig Jahren vielleicht selbst in

Empfohlene Zitierweise:
Gottfried Keller: Zwei autobiographische Schriften. In: Nachgelassene Schriften und Dichtungen, S. 1 - 22. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gottfried_keller_autobiogr_08.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)