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Gretter, der zur Seite stand, sah prüfend auf die Wasserwirbel.

„Es findet sich wohl oberhalb eine Furt, wo der Fluß nicht so tief ist,“ sprach er zu Steinvoer.

Sie schritten aufwärts.

„Hier wird es gehen,“ versicherte Gretter, und sie hielten still.

„Ich wate durch den Fluß, und trage euch beide auf dem Arme hinüber. Habt keine Furcht!“ –

„Nimm erst das Kind, und bring es an’s andere Ufer,“ bat die Mutter. „Dann hole mich!“ –

„Ich mag nicht zweimal gehen,“ sagte Gretter, „ich nehm’ euch beide auf eins!“ –

„Wie das?“ fragte Steinvoer.

„Nun, dich nehme ich auf meinen linken Arm, und das Kind setze ich in deinen Schoß. Die rechte Hand muß ich freibehalten, um die Eisschollen abzuwehren“ erklärte Gretter.

Steinvoer ergab sich in den Vorschlag. Sie machte fromm das Zeichen des Kreuzes über sich und ihr Kind. Dann hob Gretter sie auf seinen Arm, und setzte das Kind in ihren Schoß.

„Es ist mein gewisser Tod!“ sagte Steinvoer.

Gretter stieg mit seiner Last in den Fluß hinab. Mit den Füßen vorsichtig tastend, suchte er sicheren Grund zu finden. Er schritt zu, und der Fluß ward immer tiefer und tiefer.

Erst reichte das Wasser ihm bis an das Knie, dann stieg es bis an die Brust, endlich sogar bis an die Schultern.

Er stand mitten im brausenden Strome in seinem nervigen Gliederbau da, ein ragender Fels.

Sein rechter Arm ruderte, und wehrte ab die auf sie zuschießenden Eisschollen.

Steinvoer schlang ihren Arm um Gretters breites Haupt, und schmiegte sich in ihrer Angst dicht an ihn. Das Kind klammerte sich wieder an seine Mutter.

Beide brachten keinen Laut hervor. Die Brust war ihnen wie zusammengeschnürt, im Gefühl der höchsten Gefahr, und das Auge hielten sie geschlossen.

Auch Gretter sprach kein Wort. Mit gespanntem Nerv achtete er auf jeden Wirbel, jede Eisscholle, jeden Stein, den unten im Grunde seine Fußspitzen anrührten, um des wilden Elementes Herr zu bleiben.

Empfohlene Zitierweise:
Emil Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/202&oldid=- (Version vom 1.8.2018)