Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 380.jpg

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Kranken vor seinem Hause nieder und fleht den Arzt an, ein Paternoster über ihm zu sprechen. Unbedacht erfüllt dieser die Bitte, und der Tod dreht ihm den Hals um.

Aus dieser Dichtung hat Jacob Ayrer (†1605. Dramen ed. Keller 4, 2467) ein Fastnachtspiel ‘Der Bauer mit seim Gevatter Tod’ gemacht. Erst bietet sich Jesus dem Kindtaufvater Claus Gerngast an, wird aber von diesem nicht angenommen, weil er einen reich, den andern arm mache. Drauf naht sich der Teufel, den er gleichfalls ausschlägt, weil er vor dem Namen des Herrn und des heiligen Kreuzes weglaufe (gerade wie der h. Christoph, als er sich einen Herrn sucht). Der Teufel schickt ihm zuletzt den Tod auf den Hals, der alle Leute gleich behandelt; dieser steht Gevatter und verspricht, ihn zum Arzt zu machen, woraus ihm überreicher Lohn entspringen werde (S. 2480, 24):

‘Bei allen Kranken findst du mich,
Und mich sicht man nicht bei ihn sein,
Dann du sollst mich sehen allein.
Wenn ich steh bei des Kranken Füßn,
So wird derselbig sterben müssn[1];
Alsdann so nimm dich sein nicht an!
Siehst mich aber beim Kopfen stahn’ usw.

Zum Schein der Arzenei solle er nur zwei Äpfelkerne, in Brot gesteckt, eingeben. Dem Bauer gelingts damit, aber zuletzt holt der Tod seinen Gevatter selbst, ohne daß dieser eine List versucht. – Aus Ayrer schöpfte Heinrich Wolff zu Nürnberg 1644 sein Meisterlied ‘Der Gevatter Tod’ (Zs. f. Volkskunde 4, 39). Auch die von Birlinger (Nimm mich mit 1871 S. 271) aus dem 3. Teil des ‘Biblischen Bilderbanquets’ (1691) abgedruckte Erzählung ‘vom Bäuerlein und dem Tod’ stimmt dazu bis auf den Schluß, wo der Bauer einen reichen Kaufmann dem am Fußende stehenden Tode entreißt, indem er die Bettstatt umkehren läßt, und dafür vom Gevatter nur eine Warnung empfängt. – Moscherosch dagegen (Gesichte Philanders von Sittewald 2, 671 ed. Straßb. 1643 = S. 306 ed. Bobertag 1883, im ‘Soldatenleben’) schweigt von Jesus und vom


  1. Also umgekehrt wie im isländischen Märchen und bei Hans Sachs, bei J. Prätorius und in den meisten neueren Varianten (Gering 2, 150); nur bei Ayrer, Wolff, im Bilderbanquet, Aurbacher, Grimm, Bechstein, Kühnau 1, 524, Armana prouvençau, Luzel 1, 335 zeigt die Stellung des Todes bei den Füßen den tödlichen Verlauf der Krankheit an.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_380.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)