Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 388.jpg

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Kaukasus: Sbornik Kavkaz. 19, 2, 145 nr. 3 (A¹˙² B¹ C¹ D¹. Als Pate wird der Reichste gesucht; der Arzt betet ein endloses Vaterunser). – Jüdisch aus Palästina bei Hanauer p. 178 ‘The angel of death’ (B² C²; Azraels Sohn verscheucht diesen vom Krankenbette durch die Nachricht, sein böses Weib komme).

Auf den Anklang des oberdeutschen Dote (ahd. toto, mhd. tote. Fischer, Schwäb. Wtb. 2, 290) = Pate an Tod wies schon Prätorius hin; aber aus einem Wortspiele erwuchs unser Märchen, nicht, da die Quantität der Vokale beide Wörter genau scheidet und erst ein Ablautsverhältnis sie wieder vereinigen müßte (J. Grimm, Mythol. ³ S. 814). In den romanischen wie in den slawischen Fassungen ist der Tod weiblichen Geschlechts (mort, smrt) und tritt als Frau Gevatterin auf. – Die Lichter, an die das Leben gebunden ist, erinnern an Nornagest (Grimm, Mythol. ³ S. 380. 386. 812. 3, 256), an die holsteinische Sage von der Gräfin, die sich dem Teufel verschrieb (Müllenhoff nr. 248) und die noch gangbare Redensart ‘das Lebenslicht, die Lebenskerze ausblasen’; auch Meleagers Leben wird in der griechischen Sage an ein brennendes Scheit gebunden; s. Wackernagel, Das Lebenslicht (Zs. f. dtsch. Alt. 6, 280). In der Lüneburger Heide zündet man vor dem Hochzeitspaare zwei Lebenslichter an und glaubt, daß der Teil, dessen Licht zuerst erlösche, früher sterbe (Zs. f. Volksk. 7, 40. 15, 438. 18, 311). Vielleicht gehört Lucians Erzählung (Vera historia 1, 29) von den Lichtern hierher, die in Lychnopolis statt der Menschen umherlaufen. Die Höhle mit den Lebenslichtern erscheint noch im elsässischen Märchen vom redenden Totenkopf (Stöbers Alsatia 1858–61, 264 = Sébillot, C. des provinces p. 227) und im Tiroler Märchen vom Mädchen bei der toten Patin (Zingerle, Sitten und Meinungen ² 1871 S. 160).

Mehrfach gewahren wir den Einfluß andrer Märchenkreise, besonders des Geistes im Glas (nr. 99) und des vor dem bösen Weibe fliehenden Teufels Belfagor, woraus Benfey (Pantschatantra 1, 524. 2, 551) und G. Meyer (Essays 1, 263) allzu rasch auf Urverwandtschaft geschlossen haben.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_388.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)