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Der Mann ist kurz und sachlich, und das erweckt Vertrauen.

„Ganz gleich, ich brauche ein Billett zum nächsten Zuge.“

„Die Kommissionsgebühr beträgt 20 Rbl., der Preis des Billetts ist 17, macht 37.“

„Sagen wir glatt 40.“

Der Mann erhebt seine Rechte beinahe bis zum Mützenrande: „Bitte, nach einer Stunde.“

Nach einer Stunde habe ich das Billett in der Tasche, der Portier knittert 40 Rubel zusammen und tut es zum Übrigen.

Ich möchte im Wartesaal ein Glas Tee trinken. Der Saal ist gestopft voll von Offizieren und ihrem weiblichen Anhang. Es riecht nach Juchten, Tabak, Schnaps, Creme Simon, Puder und Jockeyklub. Dämchen wippen auf und ab. Offiziere klirren hin und her. Man lacht und schwatzt. Man sucht und findet.

Kein Tisch ist frei, alle sind von den Herren Offizieren und den Dämchen besetzt. Ich muß meinen Tee stehend am Büfett einnehmen. Im Wartesaal 3. Klasse und in der Bahnhofshalle liegen auf der schmutzigen, schlüpfrigen Diele todmüde Soldaten, das „heilige graue Vieh“, wie Dragomirow sie zutreffend nannte. Das heilige graue Vieh liegt hier bereits den dritten Tag.

„Seit zwei Tagen haben wir nichts gegessen,“ erzählt mir ein Mann gleichgültigen Tones.

„Ja, warum denn?“

„Sehen Sie, wir sind auf der Durchreise. Unser Rottenkommandeur zeigt sich nicht, er hat sich wohl festgetrunken.“

„Und ihr?“

„Wir warten.“

„Und hungert?“

„Und hungern. Was soll man schon machen, unsere Sache ist gehorchen.“

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/104&oldid=- (Version vom 1.8.2018)