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löste die Manneszucht vollständig auf; sie verwandelte das Heer in eine Bande politisierender, schwatzender, nichtstuerischer Tagediebe, die sich die Zeit mit Kartenspiel, Saufgelagen, Bällen, Diebstahl, Raub, Mord und Vergewaltigungen vertrieben. Das „souveräne Volk“ ließ seinen Instinkten die Zügel schießen, denn wer konnte ihm wehren? Jedenfalls nicht die in elender Abhängigkeit von den Soldatenkomitees stehenden Kommandostellen oder diese Komitees, die die Soldaten nicht leiteten, sondern bemüht waren, ihnen in jeder Weise zu Willen zu sein.

Der räuberische Haufe wälzte sich in Hunderten von Trupps zur Vorstadt vorwärts, um dort sein grausiges Werk fortzusetzen. Man plündert einen Wäscheladen; die Soldaten schleudern die Kästen auf die Straße, dann wird ihnen das Geschäft langweilig, — sie stürmen einen Blumenladen, wo alles zertrümmert und zertreten wird; im Vorübergehen fliegt eine Handgranate in eine Privatwohnung; man zertrümmert die Schauläden einer Buchhandlung, die Raublust scheint dem bestialischen Zerstörungstrieb zu unterliegen. Das dünkt den treibenden Kräften der Räuberei unvorteilhaft, — sie weisen den Soldaten die Wege: „Da gibt es reiche Beute, Brüder! Hurra! Hurra!“ Man eilt weiter, man zerstört und raubt weiter.

In der Vorstadt macht man saubere Arbeit, — an den Hauptstraßen bleibt fast kein einziger Laden erhalten, sie bilden eine ununterbrochene Kette von Trümmerfeldern. Warum macht man gerade hier saubere Arbeit, während in der inneren Stadt, wo weit reichere Beute lockte, die weitaus meisten Läden verschont geblieben sind? Weil in der inneren Stadt die treibenden Kräfte fehlten, oder doch nur in geringer Anzahl vertreten waren. In der Vorstadt waren sie reichlich vorhanden, die Frauen in Tüchern, die unter der Last des Geraubten beinahe zusammenbrachen, die südländisch aussehenden halbwüchsigen Bengel in Gymnasiasten- und Studentenmützen, die Kerle vom Typus jener Tagediebe,

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/141&oldid=- (Version vom 1.8.2018)