Hand sind wir noch genöthigt von solchen Dingen nach Vermuthungen zu urtheilen, welche sich an ein ganz unzureichendes Material knüpfen. Ein besonderer Vorzug der mechanischen Reproductionen von Inschriften, besonders des Papierabdrucks, besteht endlich darin, daß sie die sicherste Grundlage für die Facsimilierung der Inschriftentexte und die Herausgabe solcher facsimilierter Texte bieten. Zwar empfiehlt es sich nur in seltenen Fällen, die Papierabdrücke selbst einfach zu photographieren oder durch verwandte Arten der Vervielfältigung, wie die Phototypie, zu reproducieren. Denn selbst wenn die Abdrücke vollkommen gelungen sind, so erhält man doch nur ein Facsimile des Papiers, nicht des Steins; in dem gewöhnlicheren Falle, daß der Abdruck nicht ganz tadellos ausgefallen ist, giebt die photographische Fixierung aller seiner kleinen Gebrechen und Zufälligkeiten meist ein ungenügendes, nicht selten ein geradezu falsches Bild des Originals. Uebrigens verbietet sich die phototypische Reproduction ganzer Papierabdrücke meist schon durch ihre verhältnissmäßige Kostspieligkeit. Vorzüge und Schwächen des Verfahrens zeigen Beispiele, wie die in der Revue archéologique von 1876 (Bd. 31 S. 177. 185) sich findenden. Dagegen hätten die vorzüglichsten Reproductionen lateinischer Inschriften, welche wir besitzen, wie die fast unübertrefflichen einst für Hrn. Alphonse de Boissieu in seinen inscriptions de Lyon (Lyon 1846–54 4.) in Radierungen auf Stahl hergestellten, oder die zum großen Theil ebenfalls vorzüglichen Holzschnitte in Bruce’s Lapidarium septentrionale (Newscastle 1870–75 fol.), mit Hülfe von Papierabdrücken sicher weit wohlfeiler, die letztgenannten unzweifelhaft auch noch stilgetreuer hergestellt werden können. In Charles Robert’s épigraphie Gallo-Romaine de la Moselle (Paris 1873 4.) findet sich neben den vortrefflichen Photogravuren nach den Originalen (welche jedoch ziemlich kostspielig sind) auch der Versuch gemacht, die im Jahre 1750 in Metz gefundene und mit der Straßburger Bibliothek verbrannte Inschrift des Pertinax (Orelli 895) nach einem Papierabdruck zu reproducieren (Taf. V Fig. 3). Leider sind auf demselben die Buchstaben offenbar dunkel gefärbt worden, wodurch die Authentie der Reproduction beeinträchtigt wird. Eine Reihe von anderen epigraphischen Publicationen der Gegenwart, in welchen Werth und Wichtigkeit des Facsimiles mehr und mehr zur Anerkennung gelangt ist, braucht hier nicht besonders erwähnt zu werden. Ein Blick auf sie zeigt, daß die in ihnen gebotenen Abbildungen von Inschriften nur dann allen Anforderungen entsprechen,
Emil Hübner: Über mechanische Copieen von Inschriften. Weidmannsche Buchhandlung, Berlin 1881, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:H%C3%BCbner_%C3%9Cber_mechanische_Copieen_von_Inschriften.djvu/20&oldid=- (Version vom 1.8.2018)