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Seite:HansBrassTagebuch 1935-03-05 001.jpg

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geschmückt mit Kalla u. weißem Flieder. Trotz des Montag-Vormittags war der Andrang groß. Ich kniete am Sarge nieder u. betete u. bat den toten Vater um seine Fürsprache.

     Anschließend ging ich zu Herder, um mir einen lange gehegten Wunsch zu erfülllen. Ich kaufte mir die Hl. Schrift in drei Bänden, Ausgabe des Klosterneuburger Volks-Apostolates, drei Bände in Leinen zusammen 5,25 Rm. Das ist wirklich sehr billig. Trotzdem wagte ich nicht mir auch noch die Notizen von Dr. Sonnenschein zu kaufen, – das mag bleiben, bis mir wieder einmal eine Einnahme kommt. – Wie viele Bücher sehe ich jedesmal bei Herder, die ich gern lesen möchte. Wenn ich wieder Geld habe, werde ich mir das Buch des Dominikaner Paters A. D. Sertillanges, „Katechismus der Ungläubigen“ kaufen. Es sind fünf Bände: 1) Urgründe des Glaubens. 2) Die Mysterien. 3) Die Kirche. 4) Die Sakramente. 5) Die letzten Dinge. – Kartoniert kosten die fünf Bände zusammen 8,30 Rm. Das ist viel Geld. Wenn ich meinen Smoking verkaufen könnte, dann ginge es. –

     Draußen ist es sehr kalt geworden, sodaß mir nichts übrig blieb, als nochmals den teuren Anthrazit zu kaufen. Es herrscht strenger Frost, in meinem Atelier sind knapp 10° Wärme.

     Sehr lehrreich war gestern abend das Verhalten dieses ganz ungebildeten Publikums in der Christ-Königs-Kapelle. Da es sehr voll war u. viele keinen Platz fanden, mußte auch ich stehen. Eine Frau sah, daß ich am Stock ging. Sie stand sofort auf u. bot mir ihren Platz an. Ich dankte sehr, wehrte aber entschieden ab, worüber sich die Frau kaum beruhigen wollte. Darauf drängte eine andere Frau die auf ihrer Bank schon recht eng Sitzenden noch enger zusammen, sodaß für mich ein schmales Sitzplätzchen frei wurde, das ich dann gern annahm. Als ich nachher fortging, bedankte ich mich bei ihr, worüber sie ganz glücklich war. Ich ging fort mit dem Gefühl, als hätte ich ein gutes Werk getan dadurch, daß ich jener Frau erlaubt hatte, mir eine Freundlichkeit zu erweisen.

     So ist dieses Proletariat dort: Ein Vergleich mit den sog. „gebildeten Damen besserer Stände“ hier im Westen fällt sehr zu Ungunsten dieser letzteren aus. – Daß eine Dame wie hier bei uns in der Kirche mir einen Platz anbieten könnte, ist natürlich ganz ausgeschlossen; aber es wird auch niemals eine Dame einen tatsächlich vorhandenen Platz frei machen, wenn das auf Kosten ihrer Bequemlichkeit geht. Und wenn man einen solchen Platz einfach nimmt, dann hat man unter den bösen Blicken u. gehässigen Gedanken dieser „Schwestern in Christo“ so zu leiden, daß man schon lieber darauf verzichtet.

     Toter Bischof, – bitte für deine Kinder!

Dienstag, den 5. März 1935. Fastnacht.     

     Heute früh war Requiem für unseren toten Bischof. Die Beteiligung unserer Gemeinde war recht gering.

     Ich brachte heute die dogmatische Kartei ein gutes Stück vorwärts. Bald ist diese Arbeit vollendet. Ich werde dann gleich an die Exegese gehen, nachdem ich nun die ganze Hl. Schrift habe. Ich freue mich darauf.

     Nachmittags in der Kirche war der Besuch außerordentlich spärlich. Es dauerte lange, bis ich meine eigene Lauheit überwand, es gelang erst, nachdem ich den Hl. Geist u. die Jungfrau Maria um Hilfe gebeten hatte, dann allerdings wurde mein Gebet sehr innerlich. Ich betete für die Gemeinde u. darüber hinaus für alle Katholiken der Großstadt Berlin, besonders für diejenigen, die sich heute gedankenlos u. leichtfertig der Freude, dem sinnlichen Genuß hingeben, während unser toter Bischof still in der Kapelle der Behrenstraße liegt. –

     Wie ist doch diese Gleichgültigkeit grauenhaft. Grauenhaft ist viel weniger die Gleichgültigkeit jener, die sündigen, als die Gleichgültigkeit der Geistlichen, die mit einem Achselzucken darüber hinweg gehen. – Das Requiem heute früh war wenig besucht, weil der Pfarrer nichts dazu getan hatte. Nicht daß er seine Pflicht nicht getan hätte. Er hat genau das getan, was seine ihm vorgeschriebene Pflicht ihm gebot; – aber er hat keinen Deut mehr getan. Und das eben genügt nicht. –

     Das ist der Gewissenskonflikt, über den ich nicht hinweg kommen

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1935-03-04. , 1935, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1935-03-05_001.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2024)