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Mittelmeer. – Der Sohn, der hier ist, versucht, sich um die offizielle Erwerbung einer Grabstelle auf dem hiesigen Friedhof herumzudrücken u. hat Maria gefragt, ob er die Asche nicht in der Grabstelle vergraben könne, in der Max Wegscheider u. dessen Schwester Käte, die beide ebenfalls eingeäschert worden sind, liegen. Maria hat das abgelehnt. Ich bin neugierig, wie diese Sache ausgehen wird. – Es ist das ein haarsträubender Zustand. Diese Richters, u. besonders diese jungen Leute, sind Nationalsozialisten. Ich kann schon verstehen, daß ein Mensch Gott leugnet, weil er so dumm ist, daß er Gott nicht erkennt; aber daß solche Nationalsozialisten, die Worte wie Blut u. Boden u. Sippe usw. täglich im Munde führen, so bar jeglichen Gefühls u. jeglicher Pietät sind, das ist doch erschreckend. Diese Leute stehen kulturell tief unter den einfachsten Kongonegern.

Sonntag, den 6. Juni 1937.

     Heute ist der erste Sonntag, an dem wir nicht nach Müritz gekommen sind. Fritz hat eine bösartige Furunkel am linken Arm u. kann deshalb nicht fahren, einen andern Wagen konnten wir nicht bekommen. So mußten wir ziemlich betrübt zu Hause bleiben u. unsere Messe selber im Schott lesen. –

     Pfingsten u. die Tage nachher hatten wir schönes Wetter, teilweise war es abnorm heiß, aber in der letzten Woche schlug das Wetter um mit Regen, Sturm u. großer Kälte. Heute ist es wieder schön, ein richtiger Sonntag, ein Tag des Herrn. Das Geschäft war zu Pfingsten sehr gut, ließ dann aber sehr nach. Das Pfingstfest lag heuer zu früh, sodaß die Zeit bis zum eigentlichen Saisonbeginn zu lang ist. Diese stille Zeit bekommt dem Geschäft sehr gut, weil die Einrichtung in Ruhe vollendet werden kann u. die eingehende Ware sachgemäß behandelt werden kann. An den beiden letzten Tagen waren die Kassen besonders schlecht u. ich hatte meine Mühe, Maria in Ordnung zu halten, die sofort ungeduldig wird. Sie ist sonst in einer ausgezeichneten seelischen Verfassung, aber sobald etwas quer zu gehen scheint, verliert sie jeden Gedanken u. jedes Vertrauen zu Gottes Fügung, sodaß ich sie energisch zur Ordnung rufen muß. – Dieses Geschäft ist der Gegenstand meines unaufhörlichen Kampfes. In all den Jahren, in denen ich nicht hier war, hat sie sich natürlich haltlos den Forderungen des Geschäftes hingegeben, mit dem Erfolg, daß sie schon jede Haltung u. Beherrschung verloren hatte, noch ehe die Saison eigentlich begann. Bis jetzt ist es mir gelungen, auf Ordnung u. Pünktlichkeit zu achten u. der Erfolg ist, daß Maria sich noch nicht verwirtschaftet hat, – wie es freilich werden wird, wenn erst die Saison in Schwung kommt, steht dahin. Der l. Gott möge mir Kraft geben, daß ich auch dann den Kopf oben behalte. –

     Die Arbeit im Geschäft ist recht unangenehm; aber in gewisser Beziehung macht sie auch Freude. Auf meine Veranlassung sind Ausstellungsschränke aus Glas angeschafft worden, die zwar teuer waren, die aber ein besseres Herausbringen der Waren ermöglichen u. bestimmt den Umsatz steigern werden. Auch sonst habe ich verschiedene Sachen neu eingerichtet, um die Ware besser ausstellen zu können. Im Laden selbst gebe ich mir Mühe, diejenigen Leute rauszuekeln, die sich seit Jahren an Maria herangemacht haben u. die mit ihrem anmaßenden u. vordringlichen Wesen einen Ton in das Leben bringen, der dem Geschäft überaus abträglich ist. Diese Leute kaufen fast nichts, doch habe ich sie in Verdacht, daß sie stehlen.

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Hans Brass: TBHB 1937-06-06. , 1937, Seite 001. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1937-06-06_001.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)