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er zufrieden genickt. Da er aber nicht weiter krank war, hat man nichts darauf gegeben. Heute ist er nun gestorben. – Als ich um 3/4 3 Uhr zufällig über den Flur ging, öffnete sich plötzlich eine Tür, an der ich grade vorbei ging, u. man trug den Toten heraus, mit den Füßen zuerst. Ich sah nur die bloßen, bleichen Füße, der Körper u. der Kopf waren in weiße Tücher gehüllt. Man trug ihn die Treppe hinab. Gleich darauf sah ich vom Balkon meines Zimmers einen einfachen Plattenwagen, von zwei Pferden bespannt, im Schritt davonfahren. Es war Stroh ausgebreitet u. darüber lagen zwei alte, rote, verblichene Steppdecken. Wer nichts wußte, sah nichts als dieses. Mir aber zeichnete sich der Leichnam deutlich unter den Decken ab, – die Füße lagen in der Fahrtrichtung zum Kutscher hin, der Kopf hinten. Der Kopf schwankte leise hin u. her. Der Wagen fuhr im Schritt in Richtung auf den Friedhof davon. – Gott sei seiner armen Seele gnädig! –

     Nach dem Essen Versuch zu schlafen, der aber scheiterte, obgleich ich ziemlich müde war nach dieser durch das Gewitter u. vorher durch Nervenschmerzen gestörten Nacht u. dem recht anstrengenden Frühgottesdienst. Um 3 Uhr Kaffee u. dann mit Martha einen kleinen Wald=Spaziergang. Sie gibt sich rührende Mühe, die Bäume unterscheiden zu lernen u. ich helfe ihr dabei. Um 5 Uhr wieder zuhause, Martha besuchte noch die Schwester Anna im dicht bei uns liegenden evang. Diakonissenheim. In der Kapelle die Mette gebetet. Wurde gestört durch das Singen der Knaben, die im Hofe die bei der Jugend jetzt üblichen militärischen Marschlieder übten. Es ist das ein Teil der nationalsozialistischen Jugenderziehung. Es ist so wie im Kadettencorps in meiner Jugendzeit, nur daß heute die ganze Jugend ohne Ausnahme diesen Unfug betreiben muß. Ein Junge kommandiert mit schreiender Stimme alle anderen, die gehorchen müssen. Man nennt das: „Führerauslese“, d. h.: damit einer kommandieren kann, werden Tausende zu blind gehorchendem Herdenvieh dressiert. Das ist „nationalsozialistisches Führerprinzip“. Den Zusammenbruch dieses Prinzips werden wir ja bald erleben, wenn Hitler nicht mehr da sein wird. Es ist ja jedem Menschen absolut klar, daß von all diesen Kreaturen, die um ihn sind, kein einziger in der Lage ist, Führer zu sein.

Müritz, Ostersonntag, 25. April 1943.     

     Um 8 Uhr Frühmesse mit hl. Communion, dann Frühstück, um 10 Uhr Hochamt, sehr voll, viele Soldaten u. andere Fremde. Draußen ist kühles Regenwetter.

     Nach dem Mittagessen an Fritz geschrieben, der letzte Brief vor seiner Hochzeit. Möge er sich stets bewußt sein, Christusträger zu sein. Nachmittags in der Veranda mit Familie Blümel aus Rostock zusammengesessen, auch der Rektor war dabei. Angeregte Gespräche, natürlich über Politik. Das Gespräch wurde so lebhaft, daß Schw. Oberin kam u. warnte, weil eine von den alten Frauen aus den Bombengeschädigten, welche sehr nationalsozialistisch ist, in der Nebenveranda saß, wo man leicht hören kann. Herr Blümel ist ein intelligenter u. kultivierter Mann, sehr viel mehr, als man es von einem Fahrradhändler erwarten sollte. Der älteste Sohn, 22 Jahre, war ebenfalls dabei, er studiert Medizin. Ein wohlerzogener u. aufgeweckter junger Mann.

     Um 5 Uhr war Andacht. – Martha telephonierte mit Frau Monheim. Sie wollte morgen ihren Jungen Berni mit Spangenbergs Wagen herschicken, damit er am Hochamt teilnehme u. dann

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Hans Brass: TBHB 1943-04-24. , 1943, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1943-04-25_001.jpg&oldid=- (Version vom 27.4.2024)