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Seite:HansBrassTagebuch 1944-01-15 002.jpg

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selbst u. nur auf das Ich, das wäre der Tod. Hiernach bleibt also der Wesenskern des Menschen auch über den Tod hinweg; der Tod ist die Durchschneidung der Relationen, in denen das Ich sich verwirklicht. Voraussetzung u. Consequenz zugleich dieser Anschauung ist die Unsterblichkeit der Seele, wobei es sogar zunächst dahingestellt bleiben kann, ob die Seele individuell erhalten bleibt, oder ob sie im Alleben untergeht.“

     „Man kann aber noch einen anderen Weg einschlagen u. auf diesem einen Schritt weitergehen. Wenn das Ich trotz der Zerschneidung der Wechselwirkung bestehen soll, so wird es doch nur leben, falls es in den Formen des Lebens überhaupt lebt. Es muß also in Beziehungen – trotz der Zerstörungen derselben – bleiben, u. es muß wenigstens eine Relation behalten, die als solche unzerstörbar ist. Das ist die persönliche Beziehung zu dem ewigen Geist selbst, die gerade in der Gemeinschaft mit Christus den persönlichen Charakter findet. Wenn alle anderen vergänglichen Relationen abfallen u. vergehen, so kann u. muß sogar doch die eine, ihrer Natur nach unzerstörbare, die mit Gott, bleiben u. bestehen. Wenn alles versinkt, Familie, Freunde, und Feinde, wenn im grauen Dunklen nur noch ein langsamer Puls schlägt „Ich, ich“ u. wenn es von einem dumpfen Echo wiedergehoben wird, „ich, ich“, in dieser großen u. letzten Einsamkeit des beziehungslos gewordenen Lebens nimmt der ewige Christus den Menschen an der Hand u. führt ihn in dieser Gemeinschaft die allein Bestand hat, an das neue Ufer eines neuen Lebens hinüber. Das Leben mit Gott verbürgt die Unsterblichkeit nicht bloß im Sinn des unpersönlichen Untergehens im Alleben sondern als Erhaltung des Ich oder der Seele in der einzig festen Beziehung, die ihrer Natur nach Bestand hat.“ –

     Seeberg schließt dann diese Gedanken mit der Bemerkung, daß diese Anschauung vom Tode immerhin einen neuen, denkbaren Weg zur Beantwortung dieser schwersten aller Fragen zeige. Er meint: „Der Tod braucht nicht bloß als Zerstörung von Leib u. Seele gesehen werden, der dann nach der altchristlichen Lehre die Hoffnung auf die Wiederbelebung der Person in Leib u. Seele entspricht; der Tod ist auch nicht nur als Zurückziehung des göttlichen Odems aus dem einmaligen Individuum vorzustellen, dem dann das Eingehen u. das eigentlich unpersönlich machende Untergehen im Alleben folgen würde. Der Tod kann vielmehr auch als das Zerschneiden der diesseitigen Beziehungen des Ich u. als Aufhebung der Wechselwirkungen gesehen werden, in denen dies Leben verläuft. Die Unsterblichkeit wird bei diesem Ansatz als ein persönliches Fortleben der Seele gehofft werden dürfen, sofern das Ich die Relation mit dem Ewigen in der Gemeinschaft mit Christus hat, die auch die letzte Einsamkeit überdauert.“ –

     Diese sehr bedeutsamen Gedanken haben mich nicht nur deshalb interessiert, weil sie verraten, wie dieser sarkastische Spötter doch im Tiefsten seiner Seele sich an Christus klammert, sondern besonders deshalb, weil sie in mir die Erinnerung wachrufen an die Tage u. Wochen meiner letzten Operation in Rostock.

     Damals lebte ich in den Tagen der Krisis in der Vorstellung, ich flöge in der Luft, u. zwar in riesiger Höhe, sodaß ich die Erde nicht mehr sah. Als Vehikel diente mir ein Flugzeug, das aus schweren, vierkantiken Balken von meinem Nachbar Papenhagen, dem Zimmermann, gezimmert war u. an das ich mit langen Stahlnägeln angenagelt war, u. zwar so, daß ich das ganze Flugzeug selbst im Rücken hatte u. es nicht sehen konnte. Im Flugzeug hinter mir war noch jemand, den ich ebenfalls nicht sehen konnte, der aber einen photographischen Apparat dauernd auf mich gerichtet hielt u. mich photographierte. Ich war von schrecklicher Angst gepeinigt.

     Später, als ich wieder im Besitze klarer Gedanken war, begriff ich, daß dieses Flugzeug aus schweren Balken, an das ich genagelt war,

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1944-01-15. , 1944, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-01-15_002.jpg&oldid=- (Version vom 20.10.2024)