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TBHB 1944-01-15

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1944-01-15
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Entstehungsdatum: 1944
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Originaltitel: Sonnabend, 15. Januar 1944.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 15. Januar 1944
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1944-01-15 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 15. Januar 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über vier Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Sonnabend, 15. Januar 1944.     

[1]      Am Freitag vor acht Tagen besuchte ich vormittags Erich Seeberg, weil man mir gesagt hatte, daß es ihm wieder sehr schlecht ginge. Ich traf ihn aber verhältnismäßig frisch. Wir unterhielten uns eine Stunde lang in seinem Arbeitszimmer. Er hatte mir vor einiger Zeit ein Buch von sich „Luthers Theologie in ihren Grundzügen“ versprochen, das ich mitnahm. Es interessiert mich weil ich z. Zt. das Buch von Lortz. „Die Reformation in Deutschland“ lese, das auch er sehr lobte. Er gab mir dann noch eine kleine Schrift von sich mit: „Ueber Memoiren u. Biographien“. Dieses Schriftchen habe ich gelesen. Es ist interessant u. spritzig geschrieben, so wie er spricht, u. geht besonders im dritten Abschnitt sehr in die Tiefe. – Er versucht dort, den Tod zu definieren. Nachdem er die gewöhnliche Definition angeführt hat als die Vernichtung u. Zerstörung des Ich u. die Frage gestreift hat, ob dieses zerstörte Ich dereinst durch Gottes Eingreifen wieder lebendig gemacht werden könne, gibt er eine neue Definition. Er meint, man könne den Tod auch folgendermaßen definieren: „Wenn die Lebenskraft, die in unendlich vielen Individualitäten sich gestalten und ausdrücken will, sich aus diesem Einzelwesen zurückzieht, dann sind diese tot. Wenn man einen Toten sieht, so gibt es m. E. dafür keinen besseren Ausdruck, um das zu bezeichnen, was man prima facie fühlt, als das Wort exanimatus, entseelt. Die Kraft, die das Individuum im Leben erhalten hat, ist von ihm gewichen. Es ist entseelt u. tot. Aber dieser wie jener Ausgangspunkt – (Anm. von mir: nämlich die „Zerstörung“ des Ich oder die „Entseelung“) – erscheint keineswegs gegen alle Zweifel gesichert. Es könnte doch auch so sein, daß der Mensch dann stirbt, wenn die Beziehungen des Ich durchschnitten werden, in denen es selbst gestanden hat, u. wenn die Wechselwirkungen zum Aufhören gebracht werden, in denen das Ich gelebt hat. Totsein heißt dann ganz Alleinsein. Die Isolierung auf das Ich [2] selbst u. nur auf das Ich, das wäre der Tod. Hiernach bleibt also der Wesenskern des Menschen auch über den Tod hinweg; der Tod ist die Durchschneidung der Relationen, in denen das Ich sich verwirklicht. Voraussetzung u. Consequenz zugleich dieser Anschauung ist die Unsterblichkeit der Seele, wobei es sogar zunächst dahingestellt bleiben kann, ob die Seele individuell erhalten bleibt, oder ob sie im Alleben untergeht.“

     „Man kann aber noch einen anderen Weg einschlagen u. auf diesem einen Schritt weitergehen. Wenn das Ich trotz der Zerschneidung der Wechselwirkung bestehen soll, so wird es doch nur leben, falls es in den Formen des Lebens überhaupt lebt. Es muß also in Beziehungen – trotz der Zerstörungen derselben – bleiben, u. es muß wenigstens eine Relation behalten, die als solche unzerstörbar ist. Das ist die persönliche Beziehung zu dem ewigen Geist selbst, die gerade in der Gemeinschaft mit Christus den persönlichen Charakter findet. Wenn alle anderen vergänglichen Relationen abfallen u. vergehen, so kann u. muß sogar doch die eine, ihrer Natur nach unzerstörbare, die mit Gott, bleiben u. bestehen. Wenn alles versinkt, Familie, Freunde, und Feinde, wenn im grauen Dunklen nur noch ein langsamer Puls schlägt „Ich, ich“ u. wenn es von einem dumpfen Echo wiedergehoben wird, „ich, ich“, in dieser großen u. letzten Einsamkeit des beziehungslos gewordenen Lebens nimmt der ewige Christus den Menschen an der Hand u. führt ihn in dieser Gemeinschaft die allein Bestand hat, an das neue Ufer eines neuen Lebens hinüber. Das Leben mit Gott verbürgt die Unsterblichkeit nicht bloß im Sinn des unpersönlichen Untergehens im Alleben sondern als Erhaltung des Ich oder der Seele in der einzig festen Beziehung, die ihrer Natur nach Bestand hat.“ –

     Seeberg schließt dann diese Gedanken mit der Bemerkung, daß diese Anschauung vom Tode immerhin einen neuen, denkbaren Weg zur Beantwortung dieser schwersten aller Fragen zeige. Er meint: „Der Tod braucht nicht bloß als Zerstörung von Leib u. Seele gesehen werden, der dann nach der altchristlichen Lehre die Hoffnung auf die Wiederbelebung der Person in Leib u. Seele entspricht; der Tod ist auch nicht nur als Zurückziehung des göttlichen Odems aus dem einmaligen Individuum vorzustellen, dem dann das Eingehen u. das eigentlich unpersönlich machende Untergehen im Alleben folgen würde. Der Tod kann vielmehr auch als das Zerschneiden der diesseitigen Beziehungen des Ich u. als Aufhebung der Wechselwirkungen gesehen werden, in denen dies Leben verläuft. Die Unsterblichkeit wird bei diesem Ansatz als ein persönliches Fortleben der Seele gehofft werden dürfen, sofern das Ich die Relation mit dem Ewigen in der Gemeinschaft mit Christus hat, die auch die letzte Einsamkeit überdauert.“ –

     Diese sehr bedeutsamen Gedanken haben mich nicht nur deshalb interessiert, weil sie verraten, wie dieser sarkastische Spötter doch im Tiefsten seiner Seele sich an Christus klammert, sondern besonders deshalb, weil sie in mir die Erinnerung wachrufen an die Tage u. Wochen meiner letzten Operation in Rostock.

     Damals lebte ich in den Tagen der Krisis in der Vorstellung, ich flöge in der Luft, u. zwar in riesiger Höhe, sodaß ich die Erde nicht mehr sah. Als Vehikel diente mir ein Flugzeug, das aus schweren, vierkantiken Balken von meinem Nachbar Papenhagen, dem Zimmermann, gezimmert war u. an das ich mit langen Stahlnägeln angenagelt war, u. zwar so, daß ich das ganze Flugzeug selbst im Rücken hatte u. es nicht sehen konnte. Im Flugzeug hinter mir war noch jemand, den ich ebenfalls nicht sehen konnte, der aber einen photographischen Apparat dauernd auf mich gerichtet hielt u. mich photographierte. Ich war von schrecklicher Angst gepeinigt.

     Später, als ich wieder im Besitze klarer Gedanken war, begriff ich, daß dieses Flugzeug aus schweren Balken, an das ich genagelt war, [3] nichts anderes als das Kreuz Christi war (Meine Krankheit war in der Karwoche. Am Sonnabend vor der Karwoche wurde ich operiert u. am Ostersonntag war die Krisis endgültig vorüber). Nur über den Mann hinter mir mit dem Potoapparat habe ich mir bisher nie eine Deutung geben können. Nach den Ausführungen von Seeberg wäre er dann jene „Beziehung“ zu Gott gewesen, also Christus selbst, während vor mir alle Beziehungen abgeschnitten waren, nämlich die Beziehungen zur Welt, sodaß von dorther nur ein Gefühl eisiger Leere u. Einsamkeit kam, das Gefühl furchtbarer Angst u. Verlassenheit. Der Photoapparat vertrat die Stelle dieser eigenartigen Beziehung zu Gott, die weniger eine aktive Beziehung der Seele ist, als ein passives „Beobachtetwerden“ von Gott. –

     Man könnte sich das „Ich“ demnach vielleicht folgendermaßen vorstellen. Ein Kraftfeld geht fadenförmig von Gott aus u. bildet irgendwo einen Knoten. Von diesem Knoten, der das Ich darstellt, gehen neue Kraftfelder aus, welche nach der Umwelt, Menschen, Dingen, Ideen, tasten u. Beziehungen herstellen, wodurch das Bewußtsein entsteht. Diese werden im Tode durchschnitten, sei es gewaltsam von außen, oder von innen her durch Krankheit oder Abnutzung infolge hohen Alters. Es bleibt dann nur die Beziehung zu Gott, die aber nicht vom Ich zu Gott geht, sondern von Gott zum Ich (Gnade?), die aber doch durch bewußte Mitwirkung u. Rückwirkung vom Ich her verstärkt werden kann. Es ist denkbar, daß diese Beziehung ebenfalls abstirbt u. dann der ewige Tod eintritt. Wenn man dann ein völlig beziehungsloses Leben dieses übrig gebliebenen Knotens noch denken kann, dann wäre das eben die Hölle, indem nämlich diese Beziehungslosigkeit doch nicht so absolut wäre. Vielmehr bliebe ein Wunsch, ein Durst u. Hunger nach Beziehungen im Knoten übrig, der nie gestillt werden könnte u. darum furchtbare Höllenqualen verursacht. Diese würden ewig sein, da eben neue Beziehungen nicht geknüpft werden können. Es kann aber auch sein, daß die von Gott herkommende Beziehung mangels eigner Mitwirkung des Ichs nur sehr schwach ist, ohne daß sie ganz aufhörte. In diesem Falle wäre es denkbar, daß sich die Beziehung zu Gott langsam doch noch festigt, u. das wäre dann die Zeit des „Fegfeuers“. Schließlich kann diese Beziehung zu Gott im Augenblick des Todes so stark sein, daß das Ich dann „in Gott eingeht“. –

     Sehr interessant weist Seeberg zum Schluß auch darauf hin, daß der Mensch einen anderen oder auch ein Ding nur insoweit verstehen kann, als derjenige, welcher verstehen will, u. derjenige oder das jeniger, der oder das verstanden werden soll, teil hat am „Alleben“, also an Gott. Er sagt: „Weil u. sofern ich u. der andere an dem lebendigen Allgeist teilhaben, ist es möglich, daß wir uns verstehen“. „Hieraus ergeben sich auch die Gradunterschiede des Verstehens“. Er weist dabei auf den alten, von Aristoteles kommenden Grundsatz hin, daß nur Gleiches Gleiches verstehen kann. –

     Gestern Abend war Marianne Clemens da. Sie hat für Erich Seeberg Maschine geschrieben im Diktat u. erzählte. S. habe ihr gesagt, daß Herr Dr. Dross bei ihm gewesen sei u. sich darüber entrüstet habe, daß ich Kindern Religionsunterricht gebe, – es sei das ein unerhörter Seelenfang für die kathol. Kirche.

     Dieses neue Geschwätz kann nur von Frau Kellner kommen. Diese hatte mich gebeten, ihren beiden Jungens Religionsunterricht zu geben. Ich habe ihr gesagt, welche Unannehmlichkeiten ich deshalb bereits mit Frau Siegert gehabt hätte u. daß ich ihrer Bitte nur entsprechen könne, wenn sie absolute Verschwiegenheit wahre. Das hat sie mir zugesichert. Vor einigen Tagen kam sie Abends u. sagte mir, daß sie sich die Sache überlegt hätte u. ihren Jungens gern selbst den Unterricht geben wolle. Sie hätte jetzt ein entsprechendes Schulbuch u. ein Neffe ihres verstorbenen Mannes sei junger Pastor u. wolle ihr mit seinem Rat zur Seite stehen. Ich war ganz gutgläubig [4] fand es sogar sehr richtig u. lobte sie, da es doch in der Tat die Pflicht einer Mutter sei, ihre Kinder im Glauben zu erziehen. Martha aber wurde sofort mißtrauisch, sagte nichts, aber verließ das Zimmer. – Sie hat also wieder einmal mit ihrem Gefühl recht gehabt. Frau K. ist selbst eine harmlose Person, die sehr stolz darauf ist, daß sie hier im Dorfe mit allen Leuten auf freundschaftlichem Fuße steht. So auch mit dem Ehepaar Dross, bei dem sie sogar besonders freundschaftlich verkehrt. Dort hat sie natürlich die Sache erzählt, ohne zu ahnen, was dieser Dr. Dross für ein hinterhältiger u. gesinnungsloser Patron ist. –