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Seite:HansBrassTagebuch 1944-01-15 003.jpg

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nichts anderes als das Kreuz Christi war (Meine Krankheit war in der Karwoche. Am Sonnabend vor der Karwoche wurde ich operiert u. am Ostersonntag war die Krisis endgültig vorüber). Nur über den Mann hinter mir mit dem Potoapparat habe ich mir bisher nie eine Deutung geben können. Nach den Ausführungen von Seeberg wäre er dann jene „Beziehung“ zu Gott gewesen, also Christus selbst, während vor mir alle Beziehungen abgeschnitten waren, nämlich die Beziehungen zur Welt, sodaß von dorther nur ein Gefühl eisiger Leere u. Einsamkeit kam, das Gefühl furchtbarer Angst u. Verlassenheit. Der Photoapparat vertrat die Stelle dieser eigenartigen Beziehung zu Gott, die weniger eine aktive Beziehung der Seele ist, als ein passives „Beobachtetwerden“ von Gott. –

     Man könnte sich das „Ich“ demnach vielleicht folgendermaßen vorstellen. Ein Kraftfeld geht fadenförmig von Gott aus u. bildet irgendwo einen Knoten. Von diesem Knoten, der das Ich darstellt, gehen neue Kraftfelder aus, welche nach der Umwelt, Menschen, Dingen, Ideen, tasten u. Beziehungen herstellen, wodurch das Bewußtsein entsteht. Diese werden im Tode durchschnitten, sei es gewaltsam von außen, oder von innen her durch Krankheit oder Abnutzung infolge hohen Alters. Es bleibt dann nur die Beziehung zu Gott, die aber nicht vom Ich zu Gott geht, sondern von Gott zum Ich (Gnade?), die aber doch durch bewußte Mitwirkung u. Rückwirkung vom Ich her verstärkt werden kann. Es ist denkbar, daß diese Beziehung ebenfalls abstirbt u. dann der ewige Tod eintritt. Wenn man dann ein völlig beziehungsloses Leben dieses übrig gebliebenen Knotens noch denken kann, dann wäre das eben die Hölle, indem nämlich diese Beziehungslosigkeit doch nicht so absolut wäre. Vielmehr bliebe ein Wunsch, ein Durst u. Hunger nach Beziehungen im Knoten übrig, der nie gestillt werden könnte u. darum furchtbare Höllenqualen verursacht. Diese würden ewig sein, da eben neue Beziehungen nicht geknüpft werden können. Es kann aber auch sein, daß die von Gott herkommende Beziehung mangels eigner Mitwirkung des Ichs nur sehr schwach ist, ohne daß sie ganz aufhörte. In diesem Falle wäre es denkbar, daß sich die Beziehung zu Gott langsam doch noch festigt, u. das wäre dann die Zeit des „Fegfeuers“. Schließlich kann diese Beziehung zu Gott im Augenblick des Todes so stark sein, daß das Ich dann „in Gott eingeht“. –

     Sehr interessant weist Seeberg zum Schluß auch darauf hin, daß der Mensch einen anderen oder auch ein Ding nur insoweit verstehen kann, als derjenige, welcher verstehen will, u. derjenige oder das jeniger, der oder das verstanden werden soll, teil hat am „Alleben“, also an Gott. Er sagt: „Weil u. sofern ich u. der andere an dem lebendigen Allgeist teilhaben, ist es möglich, daß wir uns verstehen“. „Hieraus ergeben sich auch die Gradunterschiede des Verstehens“. Er weist dabei auf den alten, von Aristoteles kommenden Grundsatz hin, daß nur Gleiches Gleiches verstehen kann. –

     Gestern Abend war Marianne Clemens da. Sie hat für Erich Seeberg Maschine geschrieben im Diktat u. erzählte. S. habe ihr gesagt, daß Herr Dr. Dross bei ihm gewesen sei u. sich darüber entrüstet habe, daß ich Kindern Religionsunterricht gebe, – es sei das ein unerhörter Seelenfang für die kathol. Kirche.

     Dieses neue Geschwätz kann nur von Frau Kellner kommen. Diese hatte mich gebeten, ihren beiden Jungens Religionsunterricht zu geben. Ich habe ihr gesagt, welche Unannehmlichkeiten ich deshalb bereits mit Frau Siegert gehabt hätte u. daß ich ihrer Bitte nur entsprechen könne, wenn sie absolute Verschwiegenheit wahre. Das hat sie mir zugesichert. Vor einigen Tagen kam sie Abends u. sagte mir, daß sie sich die Sache überlegt hätte u. ihren Jungens gern selbst den Unterricht geben wolle. Sie hätte jetzt ein entsprechendes Schulbuch u. ein Neffe ihres verstorbenen Mannes sei junger Pastor u. wolle ihr mit seinem Rat zur Seite stehen. Ich war ganz gutgläubig

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1944-01-15. , 1944, Seite 003. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-01-15_003.jpg&oldid=- (Version vom 20.10.2024)