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Seite:HansBrassTagebuch 1944-05-01 001.jpg

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dazu zu gehören, daß man diesen Fremdkörper im Munde behält, ohne dauernd Gefahr zu laufen, ihn zu verlieren. Die anfängliche Schwierigkeit beim Sprechen habe ich aber sehr rasch überwunden, sodaß ich heute die Andacht ohne Schwierigkeit abhalten konnte; aber das Essen fällt mir noch sehr schwer. Dr. W. meint, daß sich das bald geben würde.

     Von Irmingard Wegscheider ein Brief, daß sie Marthas Einladung, ihre beiden Jungens Jens u. Peter herzusenden, gern annimmt. Sie wird das Mädchen mitschicken u. wird die Jungens selbst herbringen. Nach dem, was sie schreibt, wird es sehr notwendig sein, daß ich Jens wieder in strenge Erziehung nehme.

     In der Schaulade findet sich ein Nachruf für den Glasschneider Willy Süßmuth, der als Obergefreiter der Luftwaffe am 21. Jan. 44 tödlich verunglückt ist. Darin heißt es, daß seine Witwe der Todesanzeige die Worte vorangestellt hat: „Geburt ist Sterbens Anfang, der Tod des Lebens Aufgang: Strahlender Beginn“. Und für die Danksagung hat sie sich folgender Verse bedient:

Alles vergehet;
Gott aber stehet
Ohn alles Wanken:
Seine Gedanken,
Sein Wort u. Willen hat ewigen Grund;
Sein Heil u. Gnaden,
Die nehmen nicht Schaden,
Heilen im Herzen
Die tödlichen Schmerzen,
Halten uns zeitlich u. ewig gesund.

     Abends kam überraschend Dr. Krappmann u. Frau zu einem Plauderstündchen. Auch er erwartet nun die Invasion täglich. Wir besprachen die Aussichten, stellten fest, daß man sich keinen Begriff machen kann von dem, was sein wird. Wer wird in das zu erwartende Chaos wieder Ordnung bringen können?

     Im Reich ein Artikel über die geheime Armee in Frankreich. Es geht daraus hervor, daß diese Geheimorganisation außerordentlich weit entwickelt ist. Die Engländer haben seit Monaten Waffen abgeworfen, andere Waffen sind bei der Demobilmachung der franz. Armee nicht abgeliefert worden, selbst ganze Panzer hat man verborgen. Im Falle der Invasion werden diese sicher recht gut bewaffneten Massen unter Führung von anglo-amerikan. Fallschirmtruppen über Nacht aufstehen u. der Kampf wird in allen Teilen Frankreichs auf einmal auflodern, also weit im Rücken des Atlantikwalles. Ebenso ist anzunehmen, daß Millionen von ausländischen Arbeitern in Deutschland selbst aufstehen werden, zweifellos unterstützt von Millionen deutscher Arbeiter, die mit ihnen gemeinsame Sache machen werden. Es wird furchtbar werden! – Auch Dr. K. ist der Meinung, daß die gegenwärtigen Luftangriffe auf Nordfrankreich sich kaum noch steigern lassen u. daß deshalb die Invasion unmittelbar vor der Tür steht, – vielleicht morgen zum 1. Mai.?

     In Berlin soll beim gestrigen Angriff das Luftfahrt-Ministerium schwer getroffen worden sein, ferner der Anhalter Bahnhof, auch Schöneberg, Steglitz, Dahlem u. Tempelhof scheinen wieder schwer gelitten zu haben.

Montag 1. Mai 1944.     

     Heute den ganzen Tag fast ohne Pause geregnet, dabei kalt. Im April mußten wir in diesem Jahre fast jeden Tag heizen, auch heute. Es ist ein ungewöhnlich kaltes Frühjahr. Für die Landwirtschaft u. den Garten ist dieses Wetter freilich nicht schlecht. Sonst hat sich nichts weiter ereignet, nur Bombenangriffe auf Nordfrankreich, wie schon seit Wochen täglich u. nächtlich.

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1944-04-30. , 1944, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-05-01_001.jpg&oldid=- (Version vom 21.10.2024)