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Seite:HansBrassTagebuch 1944-06-19 001.jpg

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langer Zeit wieder einmal auf der Terrasse sitzen, obwohl es doch noch nicht richtig warm war. Leider gerät dieses Ehepaar immer in Streit, wenn das Gespräch auf das Essen kommt, freilich in heutiger Zeit ein großes Problem. –

     Abends wurde bekannt, daß die Angloamerikaner nun den Fuß der Cotentin-Halbinsel abgeschnitten haben, sodaß unsere nördlich stehenden Truppen mitsamt Cherbourg eingeschlossen sind. Damit haben die Gegner einen sehr bedeutenden Erfolg errungen, der Hafen muß ihnen nun zufallen u. dazu ein gutes, auf beiden Flanken gesichertes Aufmarschgelände. Wahrscheinlich werden sie nun daran gehen, östlich Le Havre eine neue Landung zu unternehmen, um auch diesen Hafen abzuschneiden, der sehr modern u. leistungsfähig ist u. von dem aus Paris bedroht ist. – In Italien stehen sie dicht vor dem Trasimenosee u. vor Perugia. Es scheint aber, als wären sie südlich Perugia vorbei scharf nach Osten vorgestoßen, quer durch den Apennin hindurch. Wenn das der Fall ist, werden sie unsere an der Adriaküste noch weiter südlich stehenden Truppen abschneiden. Franzosen sind von Korika aus auf Elba gelandet, auch dort sind neue Landungen hinter unserer Front zu erwarten, etwa bei Livorno mit Vorstoß gegen Florenz. –

     Heute den ganzen Tag über waren Luftangriffe in Deutschland, auch wir hier hatten mehrfach Alarm. Deutsche Jagdabwehr scheint es jetzt innerhalb Deutschlands überhaupt nicht mehr zu geben, das scheint alles nach Frankreich abgezogen zu sein. Von dort melden die Engländer, daß sie bisher 15000 Gefangene gemacht hätten, darunter einen hohen Prozentsatz von Polen, Tschechen u. anderen Ostvölkern. Das wird jetzt von uns zugegeben, indem gemeldet wird, daß mehrere Bataillone von Russen u. Ukrainern dort eingesetzt wären u. sich hervorragend bewährt hätten. Es ist also tatsächlich so weit, daß wir eigene Reserven kaum noch haben.

Montag, 19. Juni 1944.     

     Es ist unmöglich, über die tatsächliche Wirkung der neuen Waffe etwas zu sagen. In unseren Zeitungen werden Wunderwirkungen geschildert, welche Flugzeugbeobachter gesehen haben wollen. Danach haben sich in London Riesenbrände von nie dagewesener Ausdehnung gezeigt. Die Engländer selbst bewahren tiefstes Schweigen u. wenn sie etwas sagen, bagatellisieren sie die Wirkung. Immerhin muß eine beträchtliche Wirkung eingetreten sein, sonst hätte der Minister Morrison nicht extra deshalb reden brauchen. Die Tatsache, daß diese unheimlichen Dinger über England fliegen, u. zwar anscheinend immerfort in verhältnismäßig kurzen Abständen, sodaß in London und ganz Südengland eigentlich dauernd Luftalarm herrscht, genügt ja schon, um das Leben u. die Arbeit in diesem ganzen, gefährdeten Gebiet lahm zu legen, u. das allein wäre schon eine recht erhebliche Wirkung.

     An der Invasionsfront gehen die Dinge langsam weiter. Die Abschnürung der Cotentin-Haltinsel scheint unabänderlich zu sein, ist aber von uns bisher nicht zugegeben worden. Ebenso geht es in Italien. Die Russen stehen nicht mehr weit von Wiborg. Auch darüber verlautet bei uns nichts.

     Heute sah ich von der Terrasse aus zum ersten Male ein feindliches Flugzeug ziemlich tief über dem Darss.

     Mein Bild macht gute Fortschritte, morgen wird es wohl fertig sein.

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1944-06-18. , 1944, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-06-19_001.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2024)