Zum Inhalt springen

Seite:HansBrassTagebuch 1944-11-17 001.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Freitag, 17. Nov. 1944.     

     Mittwoch Regen bei Nordwind, sehr kalt, sodaß im Garten nichts zu machen war, doch habe ich gestern u. heute gegraben, noch nicht ganz fertig. –

     Agnes Borchers kam gestern Abend ganz erschüttert zu mir ins Atelier, wo ich grade an Paul Küntzel einen Geburtstagsbrief schrieb. Gestern war die Verhandlung gegen ihren Mann, das Urteil lautete auf 9 Monate Gefängnis. Ueberaus hart in Anbetracht dessen, daß es sich um einen nie vorbestraften, unbescholtenen Mann handelt, der beste Führungszeugnisse aufweisen kann. Man zwingt solch einen Menschen zum Militär u. wenn er das nicht aushalten kann u. aus innerer Not auf Abwege gerät, dann kommt er ins Gefängnis. – Lange kann es aber nicht mehr dauern, damit habe ich Agnes getröstet. Seit gestern ist die ganze Westfront in Bewegung, es scheint jetzt die große Offensive los zu gehen.

     Auch Schweden scheint nun zum Schluß doch noch in den Krieg einzutreten. Seit Monaten sind die Beziehungen immer gespannter. Immer neue Schwierigkeiten wurden gemacht mit der Erzausfuhr. Die Lieferung von Kugellagern wurde ganz eingestellt, was für uns sehr schwerwiegend sein muß, nachdem unsere Kugellagerfabriken wohl alle durch Luftangriffe längst vernichtet sind. Dann wurde den schwedischen Schiffen überhaupt das Auslaufen verboten; aber seitdem Leningrad befreit ist, gehen schwedische Schiffe dorthin. Jetzt heißt es, daß das Handelsabkommen, welches bis 1.1.1945 läuft, von Schweden nicht erneuert worden sei. Gleichzeitig beschuldigen wir Schweden der Grenzverletzungen an der norweg. Grenze u. die Schweden tun umgekehrt dasselbe. Dazu kommt, daß die norweg. Exilminister in Stockholm waren u. von dort nach Moskau gereist sind. Ferner entwickeln die Engländer eine auffällige Aktivität vor der norweg. Küste, sie vernichten unsere Geleitzüge, vor einigen Tagen versenkten sie von 11 Schiffen neun. Auch haben sie unsere Verteidigungsanlagen bereits beschossen. Dazu die Vernichtung der Tirpitz. Das sind alles sehr bedrohliche Anzeichen, daß Schweden die Absicht hat, uns den Krieg zu erklären u. daß die Engländer eine Landung in Norwegen beabsichtigen. Damit würde sich das Angesicht des Krieges auf's Neue sehr zu unseren Ungunsten verändern, die Oeffnung der Ostsee wäre dann nur eine Frage der Zeit u. der Krieg wird sich dann auch an unserem vergessenen Gestade fühlbarer machen. Wie ich kürzlich hörte ist die Besatzung unserer Batterie in letzter Zeit erheblich verstärkt worden, man sagt sogar, verdoppelt. Vielleicht hat das darin seinen Grund.

     Walter Knecht ist nun doch endlich gestern hier eingetroffen.

Sonnabend, 18. Nov. 1944.     

     Gestern Nachmittag verabschiedete sich der Unteroffz. Beichler, er ist heute früh wieder zur ostpreuß. Front gefahren. Es war ein trüber Abschied. Bei seinem letzten Urlaub war er noch überaus zuversichtlich. Damals meinte er, der Vormarsch der Russen hätte garnichts zu bedeuten, es wäre nur unser Vorteil, wenn wir eine kürzere Front hätten. Jetzt aber war er sehr kleinlaut, denn inzwischen ist die Invasion an der Kanalküste gewesen u. die Angloamerikaner stehen vor unserer Grenze, oder haben diese überschritten. Er wußte nichts weiter zu sagen, als daß wir unbedingt siegen müßten, freilich konnte er mir nicht erklären, wie das geschehen solle. Wie ein kleines, eigensinniges Kind klammerte er sich an den Satz:

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1944-11-17. , 1944, Seite 001. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-11-17_001.jpg&oldid=- (Version vom 23.10.2024)