Zum Inhalt springen

Seite:HansBrassTagebuch 1944-12-28 003.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Es bestätigt sich nun das seit langem kursierende Gerücht vom Selbstmord des Gen-Feldmarsch. v. Kluge, der s. Zt. Nachfolger des im Westen abgesetzten v. Rundstedt war. Gen. Feldm. Keitel hat in einem Tagesbefehl bekannt gegeben, daß v. Kluge sich der Verantwortung an der Invasionsfront nicht mehr gewachsen gefühlt habe u. deshalb Selbstmord begangen habe. Eine weitere Erörterung dieses Vorkommnisses sei untersagt. Man hat also in Offizierskreisen offenbar so viel darüber gesprochen, daß diese Verlautbarung des Gen-Feldm. Keitel notwendig war. Ob allerdings damit der wahre Sachverhalt wirklich vertuscht werden kann, ist zweifelhaft. Dieser ist nämlich folgendermaßen:

     Der nach dem 20. Juli von seinem Posten als Militärbefehlshaber in Belgien abberufene u. seither verschollene Generaloberst v. Falkenhausen u. der Militärbefehlshaber in Nordfrankreich, Generaloberst Heinr. v. Stülpnagel waren beteiligt an der Verschwörung gegen den Führer. Beide haben versucht, den Gen. Feldm. v. Kluge zu sich herüber zu ziehen, was ihnen zwar nicht gelang, weil v. Kluge eine aktive Beteiligung ablehnte, sonst aber schwieg u. sich so doch mitschuldig machte. – Als nun das Attentat ausgeführt war, befahl General v. Stülpnagel die Entwaffnung der SS u. der Gestapo in Paris, wobei es zu Kämpfen zwischen Wehrmacht u. SS kam. Als sich herausstellte, daß das Attentat mißglückt sei, forderte v. Stülpnagel den Gen-Feldm. v. Kluge auf sich mit seiner Armee nun trotzdem ihm anzuschließen, einen Waffenstillstand zu schließen, die SS zu entwaffnen u. mit seiner Armee nach Deutschland zu marschieren. v. Kluge lehnte das ab u. so brach die Revolte zusammen. v. Stülpnagel nahm sich das Leben. In Frankreich wurden zahlreiche Offiziere verhaftet u. durch Foltern zu Geständnissen gezwungen. Als v. Kluge sah, wie durch sein unentschlossenes Zögern zahlreiche Kameraden in Gefangenschaft u. Tod geraten waren, hat er sich selbst erschossen. – Nicht also hat ihn die Verantwortung über den Zusammenbruch an der Invasionsfront in den Tod getrieben, sondern die Verantwortung über den Ausgang der Revolte. Es ist verständlich, daß dem Hauptquartier eine Erörterung dieser Ereignisse unter den Offizieren sehr unerwünscht ist u. daß Herr Keitel diese gern unterbinden möchte; aber es ist fraglich, ob ihm das glückt.

     v. Rundstedt, der nach dem Selbstmord v. Kluges wieder den Oberbefehl im Westen angetreten hat ist jedenfalls eine große Enttäuschung. Er hat sich nach dem Attentat zu der schmachvollen Rolle hergegeben, den Vorsitz jener Kommission zu übernehmen, die den Ausschluß der Verschwörer aus der Armee aussprechen mußte. Heute opfert er Hunderttausende in einer nutzlosen Offensive, die sich heute nach 13 Tagen schon völlig festgefahren hat. Nach weiteren 13 Tagen wird davon kaum noch etwas übrig geblieben sein u. man kann nur hoffen u. wünschen, daß v. R. dann wenigstens an der Spitze seiner Truppen fällt. –

     Paul ist heute nach Rostock gefahren zu Prof. Curschmann, dessen Schwiegersohn übrigens auch irgendwie in die Attentatsgeschichte verwickelt ist. Hoffentlich bringt er ein Attest mit, daß ihn von Schneidemühl befreit.

     Braunwarth ist mit seinem Schiff untergegangen, nachdem er in engl. Gefangenschaft war u. wegen Krankheit entlassen worden ist. – Der Sohn von Frau Kleinberg ist ebenfalls gefallen, – im Elsaß in Fritzens Nähe.

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1944-12-29. , 1944, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-12-28_003.jpg&oldid=- (Version vom 24.10.2024)