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Seite:HansBrassTagebuch 1945-01-24 002.jpg

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verharmlosen suchte, während Paul unseren Standpunkt vertrat. Diese ewige Verharmlosung der innerlichen Opposition Erikas sowohl gegen ihren Vater wie gegen uns konnten wir ja nicht einfach hingehen lassen. Wir versuchten, Grete klar zu machen, daß es Erikas Pflicht sei, wenn sie schon unsere Gastfreundschaft in Anspruch nimmt, sich in unsere Anschauungen einzufühlen. Es ist für uns jeden Tag eine sehr unangenehme Last, zu ertragen, daß jemand mit uns am Tisch sitzt u. fast jedes Wort, das gesprochen wird mit stiller Opposition begleitet, angefangen schon mit dem Tischgebet. Wir erklärten Grete, daß es auf die Dauer nicht anginge, mit einem Menschen am Tisch zu sitzen, der sich immer nur in oppositionelles Schweigen hülle. Erika wohnt bei uns, sie empfängt dauernd Vorteile für sich, ja, sie trägt sogar Fritzens Sachen, sie braucht unsere Kohlen usw. u. bei all dem hat ihr Mann es bisher noch nie für nötig befunden, auch nur eine Postkarte an uns zu schreiben oder einen Gruß an uns bestellen zu lassen. Sie selbst gibt sich freilich Mühe, mit uns nicht in Differenzen zu geraten, weil ihr dies ihre Klugheit gebietet, denn wo sollte sie hin, wenn wir sie rauswerfen; aber sie tut das nicht, indem sie sich irgendwie aktiv um uns bemühte, sondern nur passiv, indem sie schweigt. Wir haben dadurch natürlich das Gefühl, von ihr aus purer Klugheit ausgenützt zu werden. – Nun, all dies kam mit einem Male zur Sprache u. Grete, der es leider sehr an Sachlichkeit fehlt, fühlte sich angegriffen als Mutter ihres geliebten Kindes u. brach, wie üblich, in Tränen aus. –

     Abends fand dann der Mittwoch-Vortrag statt, um 8 Uhr. Um 1/4 vor 8 Uhr, – Paul war gerade bei uns, – rief Grete von unten: „Martha.“ – Martha ging runter u. wir hörten Erikas Stimme u. dann sehr erregte Worte von Martha, die dann bald wieder herauf kam u. offensichtlich sehr erregt war. Bald darauf kam auch Grete u. machte M. den Vorwurf „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet zu haben“. Sie habe den ganzen Nachmittag über ihrer Tochter Erika gut zugeredet u. nun sei sie so weit gewesen, mit bestem Willen zu Martha zu kommen u. die Differenz beizulegen; aber Martha sei gleich so ausfallend geworden, daß nunmehr alles wieder verdorben sei. Aus dem nun folgenden Gespräch ergab sich, daß Erika gesagt hat, sie wolle sich in Zukunft mehr zusammennehmen u. mehr schweigen, jedoch könne sie mit ihrem Vater sich eben nicht verstehen. Besonders über diese letzte Bemerkung scheint sich Martha geärgert zu haben, jedenfalls gab es anstatt einer Versöhnung scharfe Worte u. Martha hat wohl Mutter u. Tochter stehen lassen u. ist wieder zu uns heraufgekommen. Nun war natürlich der Krach erst richtig da. Martha ist in solchen Fällen ja zweifellos sehr unbeherrscht, aber der Sache nach war sie im Recht. Es genügt eben nicht, wenn Erika einfach in ihrer stillen Opposition gegen uns nur schweigt. Wir können schon verlangen, daß ein junger Mensch, der sich täglich an unseren Tisch setzt u. mit uns ißt, sich mindestens Mühe gibt, auf unsere Anschauungsweise einzugehen u. versucht, uns zu verstehen. Wir verlangen ja nicht, daß sie eine fromme Christin wird, – das könnte sie garnicht, – von

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Hans Brass: TBHB 1945-01-25. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-01-24_002.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2024)