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Seite:HansBrassTagebuch 1945-01-27 001.jpg

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der Front eingetreten zu sein.

     Wir wollten gestern Abend zur alten Frau Longard gehen, doch unterließen wir es wegen des Lichtmangels. Wenn nichts Neues dazwischen kommt, werden wir heute Abend gehen. –

     Nachmittags: Die Russen haben Gleiwitz erobert von Norden u. Westen her, sodaß das Industrierevier jetzt noch mehr ausgeschaltet ist.

     In Rostock sollen 21000 Flüchtlinge aus dem Osten eingetroffen sein, die nun aufs Land verteilt werden. Wustrow, Alt= u. Niehagen werden vollgelegt in Schulen u. Sälen, auch bei uns soll Holzerland belegt worden sein.

     Richard brachte uns wieder Lebensmittel, wie schon oft. Er u. Wullenbecker sind in dieser Zeit unsere Rettung. Es wird jetzt mit dem Hunger erst richtig losgehen. Wovon sollen all die Flüchtlinge ernährt werden? Woher Kohlen nehmen? Eisenbahnen fahren kaum noch. Bei uns mag's noch angehen, aber die Städte! Berlin soll jetzt schon voller Flüchtlinge sein. Bisher gab es noch reichlich Milch, das wird aufhören. Den Bauern wird das Futter für das Vieh abgenommen, sie werden alles schlachten müssen. Das große Elend wird nun hereinbrechen. Die letzte Rettung besteht darin, daß die Armee meutert. – Zum Überfluß hat wieder starkes Schneetreiben eingesetzt, es wird der letzte Verkehr im Schnee stecken bleiben. Die Ostflüchtlinge erzählen grauenvolle Sachen. Sie haben nichts mitnehmen können, keine warme Kleidung, Kinder sind zerquetscht u. zertreten worden. Herr Johow ist aus Posen eingetroffen, 48 Stunden Fahrt nach Berlin, der Zug so voll, daß die Menschen bewegungslos aneinandergepreßt gestanden haben. Eine Frau war im Zuge, deren Kind gestorben war, sie trug die Leiche 48 Stunden lang auf dem Arm.

Sonnabend, 27. Januar 1945.     

     Die Russen haben nun das Haff zwischen Königsberg u. Danzig erreicht u. damit den Rest Ostpreußens abgeschnitten. Auch nach Westen sind sie weiter gekommen u. stehen nun nördlich u. südlich Posens. Offenbar wollen sie diese Stadt flankieren, um sie vor Zerstörung zu bewahren. Dasselbe machen sie wohl auch mit Breslau. – Bei all dem ist das Erstaunlichste, daß der letzte Widerstand in Budapest immer noch nicht gebrochen ist u. von unserer Seite schon vor einigen Tagen die Wiedereroberung von Stuhlweissenburg gemeldet wurde. Man scheint mehr Kraft aufzuwenden, Budapest zu halten, als Berlin zu verteidigen. Die Front ist jetzt von Berlin u. Stettin nur noch 200 km. entfernt. Die Leute sind sehr aufgeregt. Unsere Propaganda hat uns seit Jahren mit so furchtbaren Geschichten über die blutgierige Grausamkeit der Russen unterhalten, daß jetzt eine panikartige Angst herrscht. – Auch im Westen sind schwere Kämpfe im Gange, aber die Erfolge der Anglo-Amerikaner sind nur gering. Immerhin scheint Rundstedt bei seinem Rückzug aus den Ardennen sehr schwere Verluste an Menschen u. Material gehabt zu haben u. diese werden sich wahrscheinlich eines Tages auswirken u. zu plötzlichen Ereignissen führen.

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Hans Brass: TBHB 1945-01-26. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-01-27_001.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2024)