Zum Inhalt springen

Seite:HansBrassTagebuch 1945-04-20 002.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

als eine Frage der Etikette. Ihre seichte u. oberflächliche Lebensauffassung offenbart sich hierin in einer höchst fatalen Weise. – Paul, der gewiß auch nicht besonders tief veranlagt ist, leidet doch sehr, nachdem ihm bereits seine Tochter Erika völlig entglitten ist u. auch Inge kein besonders gutes Verhältnis zum Vater hat. An diesen Dingen ist Grete schuld, die in ihrer Eitelkeit ihre Töchter an sich gezogen hat auf Kosten des Vaters. Sie hat es im Leben verstanden, durch eine ununterbrochene Kette von kleinen, unmerkbaren Gehässigkeiten die Töchter gegen den Vater einzunehmen u. das ist heute garnicht mehr gut zu machen, um so weniger, da sie auch garnicht den Willen dazu hat. Sie fühlt sich in ihrer Eitelkeit ja hoch über Paul erhaben u. versucht immer, ihn als minderwertig hinzustellen. Auch mir gegenüber hat sie das ein paarmal versucht, doch habe ich ihr dann stets deutlich über den Mund gefahren, sodaß sie sich jetzt hütet. Ueberhaupt ist sie mir gegenüber sehr vorsichtig, bei Martha spricht sie sich eher aus u. läßt dann stets ihre seichte Lebensauffassung erkennen, – eine Seichtheit, der sie mit albernen, okkultistischen Ausdrücken gern ein Mäntelchen umhängt, um eine Tiefe vorzutäuschen, an die sie übrigens selbst glaubt. Sie hält sich selbst für besonders edel u. tief, doch ist das alles dieselbe widerliche Eitelkeit, die sie leider vom Vater geerbt hat, der genau so seicht war. – Weil es ihr gelungen ist, ihre Töchter durch Verzärtelung u. Verwöhnung an sich zu fesseln u. zugleich dem Vater abspenstig zu machen, – u. weil die Töchter deshalb mehr an ihr hängen u. den Vater nebensächlich behandeln, glaubt sie nun, daß sie eine besonders gute u. liebevolle Mutter wäre u. sie sonnt sich in dieser Liebe ihrer Töchter, die für sie um so schöner ist, als diese Liebe ein Triumpf über Paul bedeutet. – Die Dinge lassen sich leicht analysieren. Grete ist seit ihrer Mädchenzeit ein sehr eitles u. erotisch neugieriges Mädchen gewesen. Schon in Hannover hat das angefangen, als sie noch zur Schule ging. In Dieuze hat es bereits gefährliche Formen angenomen. Eine Baronin v. Crailsheim, die Frau eines bayr. Rittmeisters, hat da einen üblen Einfluß auf sie gehabt u. da es in der kleinen Garnison an jungen Damen mangelte, machten die oberflächl. Leutnants ihr übermäßig den Hof. Grete neigte stets zu solchen Männern, deren Charakter etwas zweifelhaft war. Es war da besonders ein Leutnant v. Zech, ein junger Mann, der bereits eine bewegte Vergangenheit hatte u. in keinem guten Ruf stand. Als die Eltern dann nach Magdeburg zogen, verstärkte sich diese Anlage u. sie hatte allerhand Flirts. Schlimm wurde es, als dieser Herr v. Zech ebenfalls nach Magdeburg zum Train versetzt wurde, zu einer Truppe, die in der Armee kein Ansehen genoß, deren Offiziere sich aber in eitler Weise als Kavalleristen aufspielten. Ich nehme an, – u. habe Grund dazu, – daß Grete eine Zeitlang das regelrechte Verhältnis dieses Herrn gewesen ist. – Dann kam die Katastrophe, von der ich ja erst viel später, nach dem Weltkriege, erfuhr. Grete bekam ein Kind. Sie wurde von den Eltern irgendwohin geschickt, wo sie heimlich entband. Das Kind wurde irgend einer Frau übergeben u. Grete kam wieder. Bald danach heiratete sie Paul. – Dieser verheimlichte Fehltritt kam nach dem Weltkriege plötzlich ans Tageslicht dadurch, daß dieser Sohn, der nun inzwischen groß geworden war, sich eines Tages an unseren Vater

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1945-04-20. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-04-20_002.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2024)