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Seite:HansBrassTagebuch 1945-05-04 001.jpg

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Führung übernommen, es würde weitergekämpft bis zum letzten Mann. In Berlin seien die Russen stellenweise in die Wilhelmstraße eingedrungen, außerdem wird noch von anderen Fronten tapferer Widerstand gemeldet. Von der Kapitulation Himmlers ist nirgends die Rede. –

     Es erhält sich hartnäckig das Gerücht, daß die Russen hier nur durchmarschieren u. wir von den Engländern besetzt werden sollen, die z. Zt. in Schwerin sein sollen. Demnach würden die Engländer Mecklenburg besetzen u. dann würden auch wir wahrscheinlich englisch werden, obgleich wir zu Pommern gehören.

     Eben war Herr Ziel hier, der gehört hatte, mir sei die Uhr abgenommen worden. Ich sagte ihm, daß das nicht der Fall wäre u. wir überhaupt bisher kaum Unannehmlichkeiten gehabt hätten. Bernh. Saatmann mußte seine Lederweste ausziehen, auch Herr Gerdes hat seinen Rock hergeben müssen, in dem seine Brieftasche mit Geld u. den Papieren war. Es ist das eine große Ungeschicklichkeit von Gerdes gewesen, er hätte seine Brieftasche sicher wieder bekommen können. – Der dumme Sohn von Frau Gess hatte einen Revolver gehabt, mit dem er renomiert hatte. Der ukrainische Schuster, den wir seit einiger Zeit im Dorfe haben, hat ihn denunziert. Der Bengel hatte den Revolver aber irgendwo ins Wasser geworfen u. das wurde ihm nun nicht geglaubt. Da er es nicht beweisen konnte, wäre es beinahe zu einem ernsten Zwischenfall gekommen, wenn nicht der Kutscher von Brandt, der russisch kann dazwischen gekommen wäre. – Auch Paul hatte übrigens eine altmodische Pistole, die er den Leuten gleich ausliefern wollte, aber sie wollten das alte Dings nicht haben. – Im Kurhause haben die dort wohnenden Soldaten grade beim Frühstück gesessen, als die Russen kamen. Die Russen haben ihnen aber nur gesagt, sie würden bald alle wieder nachhause fahren können, es würde bald wieder die Eisenbahn fahren u. elektr. Strom würde es auch bald wieder geben.

Freitag, 4. Mai 1945.     

     9 Uhr vorm. Gestern erschossen sich Herr + Frau Siegert auf ihrem Felde. So endete das Nazi=Leben dieser Frau, die uns alle hier seit 12 Jahren mit ihrem Fanatismus verrückt gemacht hat u. eine dauernde Gefahr war für jeden, der nicht Nazi war.

     Der Nachmittag verlief gestern sonst ruhig, aber Abends gegen 9 Uhr traf wieder ein Tross ein, der genau vor unserem Hause anhielt. Das Haus war verschlossen. Zwei junge Burschen von 16 – 17 Jahren rüttelten an den Türen. Ich ging raus u. verhandelte mit ihnen. Sie wollten Schnaps. Ich gab ihnen Zigaretten u. wie sie schließlich begriffen hatten, daß kein Schnaps da war, zogen sie wieder ab. Ich hatte vorher mit Paul die Reste unseres Weines aus dem Keller geschafft, weil damit zu rechnen war, daß wir Einquartierung bekämen Es kam dann ein Leutnant, der sich aber nur etwas aufwärmen wollte. Er war enttäuscht, daß es nicht sehr warm war. Er setzte sich reichlich ungeniert u. etwas flegelhaft bei Paul ins Zimmer an das Fenster. Bald kam ein junger Soldat ans Fenster u. rief, daß der „Kapitan“ da wäre, worauf der Herr Leutnant eiligst verschwand. Es wurde dann drüben bei Permin die Einfahrt geöffnet u. der ganze Troß zog dort hinein. Es war dann bald Ruhe auf der Straße, nur einzelne Leute gingen dann u. wann umher. Ich selbst postierte mich ans Fenster in der Mansarde, wo ich bis 1/4 nach 12 Uhr Wache hielt. Da sich nichts weiter ereignete, ging ich dann schlafen, d.h. ich legte mich angezogen aufs Bett.

     Heute morgen war ein großes Gelaufe zum Geschäft von Reichert-Saatmann. Ich sah vier russ. Soldaten dort stehen.

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Hans Brass: TBHB 1945-05-03. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-05-04_001.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2024)